Jedes Jahr versammeln sich Bahá'ís auf der ganzen Welt am ersten Tag des größten Bahá'í-Festes, zum Ersten Ridván, in ihren lokalen Gemeinden um die neun Mitglieder ihres Verwaltungsgremiums, den örtlichen Geistigen Rat zu wählen. Jede/r erwachsene Bahá'í im Alter ab 21 Jahren ist wählbar und trägt Verantwortung für die Einsetzung dieser neun Mitglieder der Gemeinde, welche er/sie mit auswählen darf. Diese gewählten Mitglieder sollten, ihre Zeit während des laufenden Bahá'í-Jahres für die administrativen Angelegenheiten und die Unterstützung des geistigen Wohlergehens der Gemeinde, ehrenamtlich einsetzen.
Wenn man an Wahlen denkt, fallen vielen von uns vielleicht sofort politische Parteien und Kandidaten, teure Kampagnen, Fernsehdebatten, das Ausgraben von Skandalen bezüglich der gegnerischen Partei usw. ein.
Bei Bahá'í-Wahlen ist dies jedoch nicht der Fall. Es gibt keine Parteien oder unabhängige Kandidaten. Statt Debatten gibt es Beratung in der Gemeinde. Anstatt Kampagnen zu „finanzieren“, gibt es Ermutigung und Begleitung. Anstelle von Kampfflyern und Konfetti gibt es Gebete und persönliche Meditation.
Die Teilnahme an den Wahlen ist eine heilige Pflicht, und die Wahl in einen lokalen Geistigen Rat wird als Position des Dienstes und nicht als Position der Macht angesehen. Zum Beispiel haben diejenigen, welche in einen Geistigen Rat gewählt werden, keinen höheren Rang oder eine höhere Autorität als andere Mitglieder der Gemeinde, sondern sind wirklich Mitglieder, welche ein Verwaltungsgremium bilden, das die Autorität hat, sowohl die Gemeinde zu leiten als auch ihren Bedürfnissen zu dienen.
Shoghi Effendi schrieb 1923 an die Bahá'í des Ostens:
»Am Wahltag müssen die Freunde von ganzem Herzen an den Wahlen teilnehmen, in Einigkeit und gutem Einvernehmen ihre Herzen Gott zuwenden, von allem außer Ihm gelöst sein, Seine (Gott) Führung suchen und um Seine Hilfe und Gnade flehen.«
Abgesehen von der Tatsache, dass die Wahl der Person streng vertraulich ist, ist eine der interessanten Eigenschaften des Wahlprozesses, dass keine Bezugnahme auf einzelne Namen gemacht werden sollte.
Shoghi Effendi bietet eine klare Anleitung zu diesem Punkt:
»Ich glaube, dass der Hinweis auf Persönlichkeiten vor der Wahl Missverständnisse und Konflikte aufkommen ließe. Was die Freunde tun sollten, ist, miteinander völlig bekannt zu werden, Ansichten auszutauschen, freien Umgang zu haben und miteinander die Erfordernisse und Merkmale einer solchen Mitgliedschaft zu besprechen, ohne dass auf bestimmte Einzelpersonen hingewiesen oder angespielt wird, und sei es auch nur ganz indirekt. Wir sollten davon absehen, die Meinung anderer zu beeinflussen.«
Shoghi Effendi hat auch die Vertraulichkeit der Abstimmungen beleuchtet und festgestellt:
»Das Kandidaturverfahren hat neben diesen ernsten Gefahren noch den großen Nachteil, dass es in den Gläubigen den Geist der Initiative und Selbstentfaltung auslöscht. Einer der elementaren Zwecke der Bahá'í-Wahlverfahren und -methoden ist tatsächlich die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein bei jedem Gläubigen. Indem sie nachdrücklich unterstreichen, wie sehr er bei den Wahlen seine volle Freiheit bewahren muss, machen sie ihm zur Pflicht, ein aktives, gut unterrichtetes Mitglied der Bahá'í-Gemeinde zu sein, in der er lebt.«
»... ist es unerlässlich …, ohne die leiseste Spur von Leidenschaft und Vorurteil, ungeachtet jeder materiellen Rücksicht nur die Namen jener in Betracht zu ziehen, die am besten die notwendigen Eigenschaften fragloser Treue, selbstloser Hingabe, eines wohlgeschulten Verstandes, anerkannter Fähigkeit und reifer Erfahrung in sich zu vereinen vermögen.«
Weiterhin lesen wir bei Shoghi Effendi, welcher maßgebend den Aufbau der Bahá'í-Verwaltungsordnung mitgestaltet hatte, Folgendes:
»Ihre tatsächlichen Fähigkeiten und derzeitigen Kenntnisse müssen gebührend berücksichtigt werden, und nur wer am besten für die Mitgliedschaft geeignet ist - ob Mann oder Frau -, soll seiner gesellschaftlichen Stellung ungeachtet in das höchst verantwortungsvolle Amt eines Bahá'í-Ratsmitgliedes gewählt werden.«
Die gesellschaftlichen Stellung ist nicht so wichtig, einen viel größeren Wert haben diese geistigen Eigenschaften. Um diese Eigenschaften zu erkennen, müssen wir uns jedoch bemühen, alle Mitglieder unserer Gemeinde bestmöglichst kennenzulernen - und Shoghi Effendi erklärt im folgenden Zitat, wie dies erreicht werden kann:
»Um bei der Wahl eine weise Auswahl treffen zu können, muss er notwendigerweise in engem ständigen Kontakt zu allen seinen Mitgläubigen stehen, mit allen örtlichen Aktivitäten wie Lehrarbeit, Verwaltung oder andere in Verbindung bleiben und voll und von ganzem Herzen an der Arbeit der örtlichen wie der nationalen Ausschüsse und Räte in seinem Land teilnehmen. Nur auf diesem Wege kann ein Gläubiger ein echtes Gemeinschaftsbewusstsein entwickeln und ein wirkliches Verantwortungsgefühl für Dinge erlangen, welche die Interessen der Sache berühren. So macht das Bahá'í-Gemeindeleben jedem ergebenen, aufrichtigen Gläubigen zur Pflicht, ein kluger, gut unterrichteter, verantwortungsbewusster Wähler zu werden, und es gibt ihm gleichzeitig die Gelegenheit, zu einer solchen Stufe emporzuwachsen.«
Wir sollten uns auch daran erinnern, dass wir uns als Wähler in einer betenden Haltung an den Akt der Wahl beteiligen und die Gesegnete Schönheit bitten, uns Seine Führung zu gewähren.
Wir leben in Erfurt in einer kleinen bis mittelgroßen Gemeinde, und während ich darüber meditiere, wen ich wählen sollte, finde ich oft eine Liste von mehr als neun Personen, welche diesen Eigenschaften entsprechen. In solchen Fällen hat das Universale Haus der Gerechtigkeit darauf hingewiesen, dass auch Faktoren wie Altersverteilung, Vielfalt und Geschlecht berücksichtigt werden sollten.
Glücklicherweise gibt es viele Hinweise zu den Bahá'í-Wahlen, und ich könnte buchstäblich stundenlang hier sitzen und über die vielen verschiedenen Aspekte der Wahlen schreiben, aber im Moment werde ich es hierbei belassen, indem ich Ihnen allen eine glückliche Ridván- Zeit wünsche und mit einem schönen Zitat von ‘Abdu’l-Bahá über unsere Geistigen Räte den Artikel beende:
»Diese Geistigen Räte sind strahlende Leuchten und himmlische Gärten, aus denen die Düfte der Heiligkeit über alle Regionen wehen und die Leuchten der Erkenntnis über alles Erschaffene strahlen. Von ihnen strömt der Geist des Lebens nach allen Richtungen. Sie sind wahrlich zu allen Zeiten und unter allen Umständen die mächtigen Quellen des Fortschritts für den Menschen. Welche Gnade ist größer als diese?«
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