Viele große Bewegungen wurden von Altruismus oder der selbstlosen Sorge um das Wohlergehen anderer angetrieben. Beispiele hierfür sind z. B. die Bürgerrechtsbewegung, die Frauenwahlrechtsbewegung und die Bewegung für die Rechte von Minderheiten. In diesen Fällen arbeiteten Einzelpersonen und Gruppen daran, Veränderungen zugunsten marginalisierter oder unterdrückter Gemeinschaften herbeizuführen, oft unter großen persönlichen Opfern.
Es ist jedoch auch wichtig zu wissen, dass einige Bewegungen von Eigeninteressen oder anderen Motiven angetrieben werden können. Beispielsweise können einige politische Bewegungen von dem Wunsch nach Macht oder der Förderung der Interessen einer bestimmten Gruppe angetrieben werden. Es ist auch wichtig, die unterschiedlichen Perspektiven und Ziele der verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen, die an einer Bewegung beteiligt sind, zu berücksichtigen, da diese nicht immer übereinstimmen müssen.
Im folgenden Zitat zeigt uns das Universale Haus der Gerechtigkeit, in der Schrift 'Wendezeit für die Nationen' einige einfache Regeln, welche am Anfang einer Initiative stehen könnten:
»…, zum Beispiel dass redliches Verhalten, Vertrauenswürdigkeit und Ehrlichkeit die Grundlage sind für Beständigkeit und Fortschritt, dass alles menschliche Streben von Uneigennützigkeit geleitet sein sollte, so dass Aufrichtigkeit und Achtung für die Rechte der anderen wesentlich das Handeln eines jeden Menschen bestimmen, und dass Dienst an der Menschheit die wahre Quelle von Glück, Ehre und Sinn im Leben ist.«
Im Allgemeinen ist die Vorstellung, dass alle großen Bewegungen von Altruismus angetrieben werden, nicht ganz zutreffend, und es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass es bei sozialen und politischen Bewegungen immer mehrere Perspektiven und Motivationen gibt.
»Alle großen Bewegungen haben sich durch Altruismus, Selbstlosigkeit und Selbstaufopferung weiterentwickelt...«
(‘Abdu’l-Bahá, 'Star of the West')
In ihrer humanitären und sozialen Arbeit haben die Bahá’í ein herausragendes Vorbild: ‘Abdu’l-Bahá.
Anfang des 20. Jahrhunderts kaufte ‘Abdu’l-Bahá, um nur ein strategisches Beispiel zu nennen, ein Stück Land in einer Gemeinde in Jordanien, die als Adasiyyih bekannt war. Es war fruchtbares Ackerland. Er bat Bahá'í aus Yazd, Iran, die sich in der Landwirtschaft auskannten, sich auf diesem Land in Adasiyyih niederzulassen und es zu bewirtschaften. ‘Abdu’l-Bahá lehrte diese Bahá'í-Bauern, nahrhaftes Gemüse anzubauen, und forderte sie auf, sich auf den Maisanbau zu konzentrieren. Sie produzierten große Mengen an Nahrungsmitteln und lagerten sie in Gruben, welche die Römer viele Jahre zuvor auf demselben Land angelegt hatten.
Dann brach der Erste Weltkrieg aus und begann, die Welt zu verschlingen. Das Osmanische Reich wurde angegriffen und der Krieg kam nach Palästina, wo ‘Abdu’l-Bahá lebte. Die Gemeinde wurde von einer Hungersnot heimgesucht. ‘Abdu’l-Bahá brachte Lebensmittel von den Bahá'í-Bauerngemeinden in Jordanien und versorgte die hungernden Menschen in Haifa, Akká und den umliegenden Stadtteilen während der Hungerjahre 1914 bis 1918.
»Wir erfuhren, dass es beim Einmarsch der Briten in Haifa einige Schwierigkeiten mit dem Kommissariat gab. Der befehlshabende Offizier suchte den Meister auf. "Ich habe Mais", war die Antwort. 'Aber für die Armee?', fragte der erstaunte Soldat. "Ich habe Getreide für die britische Armee", sagte 'Abdu'l-Bahá. Er ging den mystischen Weg wirklich mit praktischen Füßen.«
(Lady Blomfield, 'The Chosen Highway')
In den letzten Jahren hat die Bahá'í-Gemeinde weltweit viele verschiedene Wege altruistischen sozialen Handelns beschritten und dabei einige wichtige Lehren gezogen.
Zunächst konzentrierten sich die sozialen und humanitären Bemühungen der Bahá'í auf die wichtige Aufgabe des Kapazitätsaufbaus, wobei davon ausgegangen wurde, dass die von den Bahá'í inspirierten Aktivitäten in bescheidenem Umfang beginnen und erst mit zunehmender personeller Stärke an Komplexität gewinnen sollten.
1983 kündigte das Universelle Haus der Gerechtigkeit die Einrichtung des Büros für soziale und wirtschaftliche Entwicklung (OSED) im Bahá'í-Weltzentrum an, um "die Aktivitäten" im Bereich des von den Bahá'í inspirierten humanitären Dienstes zu fördern und zu koordinieren.
In dieser Zeit, gegen Ende des letzten Jahrhunderts, wurden mehrere von den Bahá'í inspirierte Organisationen - unabhängig von den Bahá'í-Institutionen - gegründet. 1985 gründeten die Bahá'í das 'Barli Development Institute for Rural Women' in Indore, Indien, ein von den Bahá'í inspiriertes soziales und wirtschaftliches Entwicklungsprojekt unter der Leitung des Nationalen Geistigen Rates der Bahá'í in Indien. Das Institut, welches jetzt eine unabhängige Berufsschule ist, bietet Programme für Frauen und Mädchen an und hat eine beeindruckende Erfolgsbilanz bei der Förderung von Alphabetisierung und Kompetenzen in einer Gemeinschaft mit großem Bedarf.
Nach den verheerenden Unruhen in Los Angeles im Jahr 1992 initiierten die Bahá'í ein Graswurzelprojekt, aus dem sich später das Full Circle Learning entwickelte, ein dienstleistungsorientiertes Bildungsmodell, das sich in Schulen vieler Länder der Welt verbreitet hat. 1999 wurde die MonaFoundation gegründet, um Bildungsinitiativen an der Basis zu unterstützen, die den Status von Frauen und Mädchen weltweit verbessern. Die Stiftung vergibt Mittel an gemeinnützige Organisationen, die diese Prinzipien fördern. 1997 wurde das Tahirih Justice Center gegründet, um Frauen und Mädchen, die vor Menschenrechtsverletzungen fliehen, kostenlosen Rechtsbeistand zu bieten. Als Organisation mit Sitz in den USA wendet Tahirih amerikanisches Recht an, um Frauen und Mädchen aus der ganzen Welt zu schützen, die verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt sind. Diese Organisationen - nur einige der vielen gemeinnützigen Bahá'í-Organisationen, die es heute gibt - haben ihre Aufgaben und Programme erweitert, um immer mehr Menschen in Not zu helfen.
»Die Errichtung der Göttlichen Zivilisation ist, in den Worten von Shoghi Effendi, „die Hauptaufgabe des Bahá’í-Glaubens“. Sie ist auf den grundlegendsten Eigenschaften zu errichten, derer die Welt so dringend bedarf: Einheit, Vertrauenswürdigkeit, gegenseitige Unterstützung, Zusammenarbeit, Gemeinschaftsgefühl, Selbstlosigkeit, Verpflichtung zur Wahrheit, Verantwortungsbewusstsein, Lernbegierde, die Liebe eines Herzens, das alle einschließt.«
(Botschaft des Universalen Hauses der Gerechtigkeit, 30. Dezember 2021)
Im Jahr 2001 führte das Universelle Haus der Gerechtigkeit weltweit das "Cluster"-Modell ein - eine Möglichkeit, die menschlichen Ressourcen benachbarter Gemeinden zu organisieren und zu bündeln - sowie den "Institutsprozess" als Mittel zur Ausbildung dieser Ressourcen. Bahá'í-Gemeinden auf der ganzen Welt nutzen nun den Institutsprozess, um einen hyperlokalen Nachbarschaftsfokus zu entwickeln, der sich auf das spirituelle und entwicklungsbezogene Leben einer Gemeinde konzentriert und ein Modell von Andachten, Studienkreisen, Kinderklassen und Jugendgruppen umfasst.
Alle diese Aktivitäten, ob von den Bahá'í gefördert oder von den Bahá'í inspiriert, sind von 'Abdu'l-Bahá und seinem selbstlosen Leben im Dienste der Anderen inspiriert:
»Die Freunde Gottes sollten in dieser Welt Zeugen dieser Barmherzigkeit und Liebe sein. Sie sollten sich nicht mit den Fehlern anderer aufhalten. Sie sollten ständig daran denken, wie sie anderen nützen können und wie sie Dienst und Zusammenarbeit zeigen können. So sollen sie auf jeden Fremden schauen und alle Vorurteile und Aberglauben beiseitelassen, die freundschaftliche Beziehungen verhindern könnten.«
»Der edelste Mensch ist heute derjenige, der seinem Feind die Perle der Großzügigkeit schenkt und ein Leuchtfeuer für die Verirrten und Unterdrückten ist. Das ist das Gebot Bahá’u’lláhs.«
(‘Abdu’l-Bahá, 'Star of the West')
Zum Abschluss möchten wir mit euch eine Aussage des Universalen Hauses der Gerechtigkeit vom 30. Dezember 2021 über die Kraft der Einheit und die Fähigkeit der Menschheit zum Altruismus teilen:
»Die entflammten Seelen, die sich durch die Prozesse des Plans erheben, streben danach, ein immer tieferes Verständnis für die Lehren Bahá’u’lláhs – „das wirksamste Heilmittel für jede Krankheit“ – zu erlangen und sie auf die Bedürfnisse ihrer Gesellschaft anzuwenden. Sie setzen sich für den Wohlstand aller ein und sind sich bewusst, dass das Wohlergehen des Einzelnen auf dem Wohlergehen der gesamten Gesellschaft beruht. Sie sind loyale Bürger, die Parteilichkeit und den Wettstreit um weltliche Macht meiden. Stattdessen konzentrieren sie sich darauf, Differenzen zu überwinden, Perspektiven miteinander in Einklang zu bringen und die Anwendung der Beratung zur Entscheidungsfindung zu fördern. Sie legen Wert auf Eigenschaften und Einstellungen wie Vertrauenswürdigkeit, Zusammenarbeit und Nachsicht – Grundbausteine einer stabilen gesellschaftlichen Ordnung. Sie treten ein für Rationalität und Wissenschaft als unerlässlich für den menschlichen Fortschritt. Sie setzen sich für Toleranz und Verständnis ein, und da das Wissen um die wesenhafte Einheit der Menschheit in ihrem Bewusstsein an erster Stelle steht, betrachten sie jeden als potenziellen Partner, mit dem sie zusammenarbeiten können, und bemühen sich, Gemeinschaftsgefühl selbst unter Gruppen zu fördern, die einander traditionell feindselig gegenübergestanden haben mögen. Sie sind sich bewusst, wie die Kräfte des Materialismus um sie herum wirken, und sehen mit klarem Blick die vielen Ungerechtigkeiten, die in der Welt fortbestehen; doch erkennen sie genauso deutlich die schöpferische Kraft der Einheit und die Fähigkeit der Menschheit zum Altruismus. Sie nehmen die Kraft wahr, die wahre Religion besitzt, Herzen zu verwandeln und Misstrauen zu überwinden, und so arbeiten sie, voll Vertrauen auf das, was die Zukunft bereithält, dafür, die Bedingungen zu kultivieren, unter denen Fortschritt stattfinden kann. Sie teilen ihre Überzeugungen großzügig mit anderen, respektieren dabei die Gewissensfreiheit jedes Menschen und zwingen niemals anderen den eigenen Standard auf. Und obwohl sie nicht behaupten würden, alle Antworten gefunden zu haben, sind sie sich darüber im Klaren, was sie gelernt haben und was sie noch lernen müssen. In einem rhythmischen Wechsel von Handeln und Reflexion kommen ihre Bemühungen voran; Rückschläge lassen sie unbeeindruckt. An Orten, in denen eine wachsende Anzahl von Menschen dabei hilft, solche Gemeinden aufzubauen, wird die Kraft des Glaubens, das soziale Zusammenleben der Menschen wie auch ihr inneres Leben zu wandeln, immer klarer sichtbar. Wir sind sicher, dass das ernsthafte Verfolgen des zentralen Ziels des Plans viele, viele solcher Gemeinden hervorbringen wird.«
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