Das Sendschreiben beginnt mit den Worten:
»Dies ist ein Lehrbrief, den der Allerbarmer aus dem Reich des Wortes herniedersendet. Er ist fürwahr ein Lebenshauch für die, so im Reiche der Schöpfung wohnen. Verherrlicht sei der Herr aller Welten! In diesem Lehrbrief wird des Mannes gedacht, der den Namen Gottes, seines Herrn, erhöht und in einem gewichtigen Sendschreiben Nabíl genannt ist.«
Können wir „Nabíl“ hier stellvertretend für uns ansehen?
»O Mein Nabíl! Lass dich durch nichts betrüben, sondern frohlocke in überschäumender Freude, da Ich deines Namens gedachte, Mein Herz und Mein Angesicht dir zuwandte und mit dir Zwiesprache hielt durch diese unwiderlegliche, diese gewichtige Abhandlung. Sinne nach in deinem Herzen über die Trübsale, die Ich erdulde, die Haft und Gefangenschaft, die Ich ertrage, die Leiden, die Mich befallen, und die Anschuldigungen, die das Volk gegen Mich erhebt.«
Das Sendschreiben geht weiter mit ethischen Ermahnungen: »Lasst jeden Morgen besser sein als den Abend davor und jeden neuen Tag reicher werden als den gestrigen.« Diese richten sich an die Menschen der Welt, werden dann fortgesetzt mit dem Lob bodenständiger Tugenden wie Fleiß, Großzügigkeit und Dienst an der Menschheit, sprechen dann eine ihm von Nabíl-i Akbar gestellte Frage über den Beginn der Schöpfung an und enden mit einer Diskussion über Ermahnungen an Nabíl, nicht zu trauern, mit einer Bitte an Gott.
Das ganze 'Tablet der Weisheit' könnt ihr hier ansehen.
Im 'Tablet der Weisheit' schrieb Bahá'u'lláh über die Harmonie von Wissenschaft und Religion, vom Schöpfungsakt, welcher "keinen Anfang und kann kein Ende" hat.
»Was besteht, bestand zuvor, aber nicht in der Gestalt, in der du es heute wahrnimmst. Die Welt des Seins entstand durch die Wärme, welche die Vermischung zwischen dem Wirkenden und dem Wirkung Empfangenden hervorrief. Beide sind gleich und doch verschieden. So unterrichtete dich die Große Verkündigung über dieses allherrliche Gefüge. Was wirkt und was die Wirkung empfängt, ist fürwahr beides durch das unwiderstehliche Wort Gottes erschaffen, das die Ursache der ganzen Schöpfung ist, während alles außer Seinem Wort erschaffen und bedingt ist. Wahrlich, dein Herr ist der Erklärer, der Allweise.«
Bahá'u'lláh bezeugte, dass Gott "der Gestalter, der Allmächtige, der Schöpfer, der Begründer, der Allwissende, der Allweise" ist.
»Sprich: Die Natur ist in ihrem Wesen die Verkörperung Meines Namens, der Gestalter, der Schöpfer. Ihre Offenbarungen sind verschiedenartig durch verschiedene Ursachen, und in dieser Verschiedenartigkeit sind Zeichen für urteilsfähige Menschen. Die Natur ist Gottes Wille, dessen Ausdruck in der bedingten Welt und durch diese. Sie ist Teil des Waltens der Vorsehung, verordnet von dem Verordner, dem Allweisen. Wollte jemand erklären, sie sei Gottes Wille, wie er sich in der Welt des Seins offenbart, so könnte keiner diese Behauptung anzweifeln. Sie ist mit einer Kraft begabt, deren Wirklichkeit die Gelehrten nicht begreifen können. Der Einsichtsvolle kann fürwahr nichts in ihr wahrnehmen als den Strahlenglanz Unseres Namens, der Schöpfer. Sprich: Dies ist ein Dasein, das keinen Niedergang kennt, und die Natur selbst ist erstaunt ob seiner Offenbarungen, seiner zwingenden, augenfälligen Beweise und seines Strahlenglanzes, wie sie das Weltall umschließen.«
Dieser Artikel versucht, einige der Möglichkeiten zu erforschen, wie wir "Weisheit" aus dem Diskurs, den Bahá'u'lláh in dieser Arbeit entfaltet, verstehen könnten.
Zunächst können wir beobachten, dass ein Teil der Weisheit darin besteht, zu erkennen, dass es in der Realität mehr gibt als die rein materielle Welt:
»Als im Osten die Augen des Volkes von den Künsten und Wundern des Westens gefangen genommen wurden, da schweiften sie irre geworden in der Wildnis stofflicher Ursachen, des Einen vergessend, der der Verursacher der Ursachen und ihr Erhalter ist. Solche Menschen aber, die Quell und Born der Weisheit waren, leugneten niemals den bewegenden Antrieb hinter diesen Ursachen, deren Schöpfer oder Ursprung. Dein Herr weiß es, aber die meisten Menschen wissen es nicht.«
Ein Verständnis für unser Bedürfnis nach göttlicher Führung ist in der Tat "der Anbeginn der Weisheit".
»Der Anbeginn der Weisheit und ihr Ursprung ist anzuerkennen, was Gott deutlich darlegt, weil dessen Kraft die Staatskunst, Schutz und Schirm für den Leib der Menschheit, auf eine feste Grundlage stellt. Denke eine Weile nach, damit du wahrnimmst, was Meine erhabenste Feder in diesem wundersamen Sendbrief verkündet.«
Eine weitere Dimension der Weisheit ergibt sich aus Bahá'u'lláhs Beobachtungen über den Inhalt wissenschaftlicher oder philosophischer Bemühungen. Bahá'u'lláh entfaltete eine Diskussion über die Frage, ob das Universum schon immer existiert hat oder ob es an einem bestimmten Punkt entstanden ist. Dieser Diskurs bezieht sich auf eine lange philosophische Debatte in der islamischen Welt. In diesem Zusammenhang finden wir auch eine Diskussion über das Wort Gottes und seine Rolle bei der Erschaffung des Universums. Doch Bahá'u'lláhs Worte ziehen uns von diesem Diskurs ab:
»Es steht dir schlecht an, wenn du den Blick auf frühe oder jüngere Zeiten zurückwendest. Erwähne diesen Tag Gottes und verherrliche, was an ihm erschienen ist. Es wird fürwahr der ganzen Menschheit genügen. In der Tat lassen Darlegungen und Vorträge zur Erläuterung solcher Dinge die Gemüter erkalten. Es geziemt dir, so zu reden, dass die Herzen der wahrhaft Gläubigen entflammt werden und ihre Leiber sich aufschwingen.«
Aber vielleicht die bewegendste Dimension der Weisheit im 'Tablet der Weisheit' ist Bahá’u’lláhs Diskurs über ein Leben in Weisheit, insbesondere in Bezug auf unsere Mitmenschen:
»O Völker der Welt! Gebt alles Böse auf und haltet fest, was gut ist. Strebt danach, der ganzen Menschheit leuchtende Beispiele zu bieten und Wahrzeichen der göttlichen Tugenden unter den Menschen zu sein. Wer sich aufmacht, Meiner Sache zu dienen, sollte Meine Weisheit offenbaren und alle Mühe darauf wenden, die Unwissenheit von der Erde zu verbannen. Seid einig in der Beratung, seid eins im Denken. Lasst jeden Morgen besser sein als den Abend davor und jeden neuen Tag reicher werden als den gestrigen. Des Menschen Vorzug liegt im Dienst und in der Tugend, nicht im Prunk des Wohllebens und des Reichtums. Habt acht, dass eure Worte rein sind von eitlem Wahn und weltlichen Lüsten und eure Taten von List und Argwohn. Vergeudet nicht den Reichtum eures kostbaren Lebens im Verfolgen böser, verderbter Neigung, noch lasst eure Mühe völlig in der Förderung eurer eigenen Interessen aufgehen. Seid großzügig in Tagen der Fülle und geduldig in der Stunde des Verlustes. Auf Not kommt Erfolg, und Jubel folgt dem Wehe. Nehmt euch in acht vor Faulheit und Müßiggang, haltet euch an das, was der Menschheit, ob jung oder alt, hoch oder niedrig, Nutzen bringt. Hütet euch, das Unkraut des Zwistes unter die Menschen zu säen oder die Dornen des Zweifels in reine, strahlende Herzen zu pflanzen.«
Hier im Kontext der Geschichte der Philosophie finden wir, dass Bahá’u’lláh uns zu einer praktischen Philosophie und Weisheit führt, die an der Liebe zu unserem Mitmenschen orientiert ist. Und in diesen kurzen Abschnitten finden wir einige der schönsten Lehren Bahá’u’lláhs:
»Das Wesen und die Grundlagen der Philosophie stammen von den Propheten. Dass die Menschen sich im Hinblick auf die inneren Bedeutungen und Geheimnisse der Philosophie voneinander unterscheiden, ist der Verschiedenartigkeit ihrer Ansichten und ihres jeweiligen Verstandes zuzuschreiben.«
»O ihr Geliebten des Herrn! Begeht nichts, was den klaren Fluss der Liebe verschmutzt oder den süßen Duft der Freundschaft tilgt. Bei der Gerechtigkeit des Herrn! Ihr seid erschaffen, einander Liebe zu bezeigen, nicht Eigensinn und Groll. Seid nicht stolz auf eure Eigenliebe, sondern auf die Liebe zu euren Mitgeschöpfen. Rühmt euch nicht der Liebe zu eurem Vaterland, sondern der Liebe zur ganzen Menschheit. Lasst euer Auge keusch, eure Hand getreu, eure Zunge wahr und euer Herz licht sein.«
»Sprich: verherrlicht sei Dein Name, o Herr, mein Gott! Ich flehe zu Dir bei Deinem Namen, durch den der Glanz des Lichtes der Weisheit hell erstrahlte, als die Himmel göttlicher Rede inmitten der Menschheit bewegt wurden, hilf mir gnädig mit Deinen himmlischen Bestätigungen und befähige mich, Deinen Namen unter Deinen Dienern zu preisen.«
Das Sendschreiben endet mit der folgenden Bitte an Gott:
»O Herr! Ich wende mein Angesicht Dir zu, trenne mich von allem außer Dir und halte mich fest an den Saum des Gewandes Deiner mannigfachen Segnungen. So löse denn meine Zunge, dass ich verkünde, was die Gemüter der Menschen in Bann schlägt, was ihnen Herz und Geist frohlocken lässt. Stärke mich so sehr in Deiner Sache, dass mich die Übermacht der Unterdrücker unter Deinen Geschöpfen nicht behindert und der Angriff der Ungläubigen unter den Bewohnern Deines Reiches nicht abhält. Mache mich zu einer Leuchte, die durch Deine Lande strahlt, auf dass alle, in deren Herzen das Licht Deiner Erkenntnis und die Sehnsucht nach Deiner Liebe glimmen, von ihrem Glanze geführt werden.«
Geben Sie Ihre E-Mail-Adresse an, um Benachrichtigungen über neue Beiträge via E-Mail zu erhalten.
Kommentare
Keine Kommentare