O ihr Hochgeehrten, die ihr Pioniere seid unter den Wohltätern der Menschenwelt!¹
Die Briefe, die ihr während des Kriegs abgesandt habt, sind nicht eingetroffen, aber ein Brief vom 11. Februar 1916 hat mich soeben erreicht, und darauf folgt sofort eine Antwort. Eure Absicht verdient tausendfältiges Lob; denn ihr dient der Menschenwelt, und dies führt zu aller Glück und Wohlergehen. Dieser jüngstvergangene Krieg hat der Welt und dem Volk bewiesen, dass Krieg Vernichtung ist, Weltfrieden dagegen Aufbau. Krieg ist Tod, Frieden hingegen Leben. Krieg ist Raubsucht und Blutgier, Frieden indessen Wohltat und Menschlichkeit; Krieg gehört der Welt der Natur an, Frieden aber zur Grundlage der Religion Gottes; Krieg ist Finsternis über Finsternis, während Frieden himmlisches Licht ist; Krieg zerstört den Bau der Menschheit, während Frieden der Menschenwelt ewiges Leben ist; Krieg ist wie ein reißender Wolf, Frieden aber den Engeln des Himmels gleich; Krieg ist Kampf ums Dasein, während Frieden gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit unter den Völkern der Welt ist und das Wohlgefallen des Einen Wahren im himmlischen Reiche herbeiführt.
Es gibt keine Seele, deren Gewissen nicht bezeugte, dass es heutigen Tages nichts Wichtigeres auf der Welt gibt als den Weltfrieden. Jeder Gerechte bestätigt dies und bewundert jene geehrte Versammlung; denn sie verfolgt das Ziel, diese Finsternis in Licht, diesen Blutdurst in Güte, diese Folter in Wonne, diese Mühsal in Behagen und diese Feindschaft, diesen Haß in Freundschaft und Liebe zu verwandeln. Daher ist die Bemühung jener geachteten Seelen des Preises und des Lobes wert.
Der wesenhaften Beziehungen gewahr, die von den Wirklichkeiten der Dinge ausgehen, bedenken weise Seelen jedoch, dass eine einzelne Sache für sich die menschliche Wirklichkeit nicht so beeinflussen kann, wie es sein sollte und müsste; denn ehe die Menschen in ihrer Gesinnung geeinigt werden, lässt sich nichts Wichtiges bewerkstelligen. Heute ist der Weltfriede von großer Bedeutung, aber die Einheit des Gewissens ist dabei wesentlich, damit des Friedens Grundlage gesichert, sein Gefüge fest und sein Bau stark sei.
Darum erläuterte Bahá'u'lláh vor fünfzig Jahren die Frage des Weltfriedens zu einer Zeit, als Er in der Festung 'Akká in strenger Haft Unrecht erduldete und eingekerkert war. Er schrieb über diese wichtige Angelegenheit, den Weltfrieden, an alle großen Herrscher der Welt und verwirklichte ihn im Kreise Seiner Freunde im Orient. Des Ostens Horizont war in tiefes Dunkel gehüllt, die Völker standen sich in Haß und Feindschaft gegenüber, die religiösen Gruppen lechzten nach dem Blut der anderen - es herrschte Finsternis über Finsternis. Zu solcher Zeit erstrahlte Bahá'u'lláh der Sonne gleich vom Horizont des Ostens und erhellte Persien mit dem Licht dieser Lehren.
Eine Seiner Lehren war die Erklärung des Weltfriedens. Menschen verschiedener Völker, Religionen und Sekten, die Ihm nachfolgten, kamen sich derart nahe, dass bemerkenswerte Versammlungen zustande kamen, die aus den verschiedenen Völkern und Religionen des Ostens zusammengesetzt waren. Wer solche Versammlungen besuchte, sah nur ein Volk, eine Lehre, einen Pfad, eine Ordnung; denn Bahá'u'lláhs Lehren waren ja nicht auf die Errichtung des Weltfriedens beschränkt; sie umfaßten viele Lehren, welche die des Weltfriedens ergänzten und stützten.
Eine dieser Lehren ist das selbständige Erforschen der Wirklichkeit, so dass die Menschenwelt aus dem Dunkel der Nachahmung errettet werde und zur Wahrheit gelange, dass sie das zerlumpte, abgetragene Kleid von vor tausend Jahren abreiße und wegwerfe und ein Gewand anlege, welches in höchster Reinheit und Heiligkeit auf dem Webstuhl der Wirklichkeit gewoben ist. Da es nur eine Wirklichkeit gibt, die keine Vieldeutigkeit zulässt, müssen unterschiedliche Ansichten schließlich in einer aufgehen.
Eine der Lehren Bahá'u'lláhs ist die Einheit der Menschenwelt. Alle Menschen sind Gottes Schafe, und Er ist der gütige Hirte. Dieser Hirte ist gut zu allen Schafen, denn Er schuf sie alle, erzog sie, sorgte für sie und beschützte sie. Es besteht kein Zweifel, dass der Hirte gütig zu allen Schafen ist; sind Unwissende darunter, so müssen sie belehrt werden; sind Kinder darunter, so müssen sie erzogen werden, bis sie die Reife erlangen; sind Kranke darunter, so müssen sie geheilt werden. Haß und Feindschaft darf es nicht geben. Wie von einem gütigen Arzt müssen diese Unwissenden, diese Kranken behandelt werden.
Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs ist, dass Religion zu Freundschaft und Liebe führen muss. Bewirkt sie Entfremdung, dann bedarf man ihrer nicht; denn Religion ist wie eine Arznei: Verschlimmert sie das Leiden, dann wird sie unnötig.
Unter Bahá'u'lláhs Lehren finden wir ferner, dass Religion mit Wissenschaft und Vernunft in Einklang sein muss, so dass sie auf die Menschenherzen wirkt. Die Grundlage muss festgefügt sein und darf nicht auf Nachahmung beruhen.
Eine andere Lehre Bahá'u'lláhs ist, dass religiöse, rassische, politische, wirtschaftliche und vaterländische Vorurteile den Bau der Menschheit zerstören. Solange diese Vorurteile herrschen, wird die Menschenwelt keine Ruhe finden. Über einen Zeitraum von sechstausend Jahren berichtet uns die Weltgeschichte. Während dieser sechstausend Jahre war die Menschenwelt nie frei von Krieg, Streit, Mord und Blutgier. Zu jeder Zeit wurde in diesem oder jenem Land Krieg geführt; der Krieg entstand entweder aus religiösem Vorurteil oder aus rassischem Vorurteil, aus politischem Vorurteil oder aus vaterländischem Vorurteil. So ist gesichert und erwiesen, dass alle Vorurteile den Bau der Menschheit zerstören. Solange diese Vorurteile weiterbestehen, muss der Kampf ums Dasein vorherrschen, müssen Blutdurst und Raubgier fortdauern. Deshalb kann die Menschheit, wie in der Vergangenheit so auch heute, nur dann aus der Finsternis der Erdgebundenheit errettet werden und Erleuchtung empfangen, wenn sie Vorurteile ablegt und die Tugenden des Gottesreiches erwirbt.
Gehen Vorurteile und Feindseligkeiten auf das Konto der Religion, so bedenkt, dass die Religion zu Freundschaft führen muss; andernfalls ist sie unnütz. Und ist das Vorurteil nationaler Art, so bedenkt, dass alle Menschen einer Nation angehören. Alle sind dem Baume Adams entsprossen; Adam ist die Wurzel des Baumes. Der Baum ist einer, alle Völker sind wie Äste, während die einzelnen Menschen den Blättern, Blüten und Früchten daran gleichen. So sind die Bildung verschiedener Nationen und in der Folge alles Blutvergießen und alle Zerstörung am Bau der Menschheit nur menschlicher Unwissenheit und eigennützigen Beweggründen entsprungen.
Was das vaterländische Vorurteil betrifft, so entstammt auch dieses völliger Unwissenheit, denn der Erdkreis ist ein Heimatland. Jeder Mensch kann an jedem beliebigen Ort des Erdballs leben. Darum ist die ganze Welt des Menschen Vaterstadt. Grenzlinien und Grenzübergänge wurden durch den Menschen ersonnen. In der Schöpfung sind keine solchen Grenzen und Hoheitsgebiete festgeschrieben. Europa ist ein einziger Erdteil, Asien ist ein Erdteil, Afrika ist ein Erdteil, Australien ist ein Erdteil, aber einige Seelen haben aus persönlichen Beweggründen, aus Eigennutz, jeden dieser Erdteile zerteilt und einen bestimmten Teil als ihr eigenes Land betrachtet. Gott hat keine Grenze zwischen Frankreich und Deutschland gezogen: Sie gehen ineinander über. Fürwahr, in den ersten Jahrhunderten haben selbstsüchtige Seelen um ihrer eigenen Vorteile willen Grenzen und Übergänge geschaffen und ihnen Tag für Tag mehr Gewicht beigelegt, bis dies schließlich in den späteren Jahrhunderten zu heftiger Feindschaft, zu Blutvergießen und Raubgier führte. So wird es unaufhörlich weitergehen, und wenn der Gedanke der Vaterlandsliebe auf einen engen Kreis beschränkt bleibt, wird er die Hauptursache der Weltzerstörung sein. Kein kluger, gerechter Mensch wird diese eingebildeten Unterscheidungen anerkennen. Eine begrenzte Fläche, welche wir unser Vaterland nennen, betrachten wir als unsere Heimat, wo doch der ganze Erdball, nicht eine begrenzte Fläche, die Heimat aller ist. Kurz gesagt: Nur wenige Tage leben wir auf dieser Erde; schließlich werden wir darin bestattet, sie ist unser ewiges Grab. Ist dieses ewige Grab es wert, dass wir Menschenblut vergießen und einander in Stücke reißen? Nein, keineswegs: Weder ist Gott erfreut über ein solches Verhalten, noch kann es ein Mensch mit gesundem Verstand gutheißen.
Überlegt: Die glückseligen Tiere lassen sich nie in einen vaterländischen Streit ein, sie leben in bester Kameradschaft einmütig miteinander. Kommen zum Beispiel eine Taube aus dem Osten, eine Taube aus dem Westen, eine Taube aus dem Norden und eine Taube aus dem Süden zufällig zur gleichen Zeit an einem Platze zusammen, so gesellen sie sich alsbald einträchtig zueinander. So ist es bei allen glückseligen Tieren und Vögeln. Die Raubtiere aber greifen einander an, sobald sie sich treffen, kämpfen miteinander und reißen sich in Stücke. Es ist ihnen unmöglich, friedlich am selben Ort zusammenzuleben. Sie sind alle ungesellig, grausam, wild und kampflustig.
Betrachtet man das wirtschaftliche Vorurteil, so tritt klar zu Tage, dass dann, wenn man die Verbindungen zwischen den Völkern festigt und den Warenaustausch beschleunigt, jedes wirtschaftliche Prinzip, das man in einem Land durchsetzt, schließlich die anderen Länder beeinflußt und allgemeinen Nutzen stiftet. Wozu also dieses Vorurteil?
Was nun das politische Vorurteil betrifft, so muss Gottes Politik befolgt werden, und es ist unbestreitbar, dass Gottes Politik größer ist denn menschliche Politik. Wir müssen der göttlichen Politik folgen, sie gilt gleichermaßen für alle. Gott behandelt alle Menschen gleich: Kein Unterschied wird gemacht. Dies ist die Grundlage der göttlichen Religionen.
Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs ist die Schaffung einer Sprache, die weltweit im Volk verbreitet werden kann. Die Feder Bahá'u'lláhs offenbarte diese Lehre, damit die Weltsprache Mißverständnisse zwischen den Menschen beseitige.
Eine Lehre Bahá'u'lláhs ist ferner die Wesensgleichheit von Frauen und Männern. Die Menschenwelt hat zwei Flügel: Den einen bilden die Frauen, den anderen die Männer. Erst wenn beide Flügel gleichmäßig entwickelt sind, kann der Vogel fliegen. Bleibt ein Flügel schwächlich, so ist kein Flug möglich. Erst wenn die Frauenwelt der Männerwelt im Erwerb von Tugenden und Vollkommenheiten gleichkommt, sind Erfolg und Gedeihen so erreichbar, wie es sein soll.
Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs ist das freiwillige Teilen des Eigentums mit anderen unter der ganzen Menschheit. Dieses freiwillige Teilen übertrifft die Wesensgleichheit; es bedeutet, dass der Mensch sich selbst nicht anderen vorziehen, vielmehr sein Leben und sein Eigentum für andere opfern soll. Dies soll aber nicht zwangsweise eingeführt und ein Gesetz werden, das der Mensch gezwungenermaßen befolgen muss. Im Gegenteil soll der Mensch aus freiem Antrieb, auf selbstgewähltem Opfergang, Eigentum und Leben für andere hingeben und willig den Armen spenden, wie es in Persien unter den Bahá'í geschieht.
Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs ist des Menschen Freiheit: Durch die geistige Macht soll er frei werden und sich der Verhaftung in der natürlichen Welt entledigen. Denn solange der Mensch in der Natur gefangen liegt, ist er ein Raubtier, da der Kampf ums Dasein zu den Bedürfnissen der Naturwelt gehört. Dieser Kampf ums Dasein ist der Ursprung allen Elends und die höchste Not.
Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs besagt, dass die Religion ein mächtiges Bollwerk ist. Wenn das Gebäude der Religion erzittert und schwankt, folgen Aufruhr und Chaos, und die Ordnung der Dinge wird völlig umgestürzt; denn in der Menschenwelt gibt es zwei Wächter, die den Menschen vor dem Unrechttun bewahren: Der eine ist das Gesetz, das den Verbrecher bestraft; aber das Gesetz verhindert nur das offenkundige Verbrechen, nicht jedoch die geheime Sunde. Hingegen verhütet der ideale Wächter, die Religion Gottes, sowohl das offenkundige wie das geheime Verbrechen. Er erzieht den Menschen, entwickelt Sittlichkeit, nötigt zur Tugend und ist die allumfassende Macht, die für das Glück der Menschenwelt die Gewähr bietet. Unter Religion aber ist das zu verstehen, was durch Forschen nach Wahrheit gesichert ist, nicht was lediglich auf Nachahmung beruht - also die Grundlagen der göttlichen Religionen, nicht menschliche Nachahmungen.
Zu den Lehren Bahá'u'lláhs gehört ferner, dass die materielle Zivilisation zwar ein Mittel zum Fortschritt der Menschenwelt ist, dass jedoch der gewünschte Erfolg - das Glück der Menschheit - erst dann zu erreichen ist, wenn die materielle Zivilisation mit der göttlichen Kultur vereinigt wird. Bedenkt! Diese Schlachtschiffe, welche eine Stadt innerhalb einer Stunde in ein Trümmerfeld verwandeln, sind das Ergebnis der materiellen Zivilisation; ebenso die Kruppkanonen, die Mausergewehre, das Dynamit, die Unterseeboote, die Torpedoboote, die Jagdflieger und Bomber. Alle diese Kriegswerkzeuge sind die bösen Früchte der materiellen Zivilisation. Wäre die materielle Zivilisation mit der göttlichen Kultur verbunden worden, so hätte man diese fürchterlichen Waffen niemals erfunden. Im Gegenteil, die menschliche Tatkraft hätte sich ganz und gar nützlichen Erfindungen zugewandt und auf rühmliche Entdeckungen konzentriert. Die materielle Zivilisation ist wie das Glas um die Lampe, die göttliche Kultur ist die Lampe selbst. Das Glas ohne Licht ist dunkel. Die materielle Zivilisation ist wie der Leib. Sei er auch noch so anmutig, elegant und schön, so ist er dennoch tot. Die göttliche Kultur ist wie der Geist; der Leib erhält sein Leben durch den Geist, sonst ist er ein Leichnam. So ist es klar, dass die Menschenwelt den Odem des Heiligen Geistes braucht. Ohne den Geist ist die Menschenwelt leblos; ohne dieses Licht verbleibt die Menschenwelt in tiefster Finsternis. Denn die Naturwelt ist eine tierische Welt. Ehe der Mensch wiedergeboren wird aus der Welt der Natur, das heißt, ehe er sich von der Naturwelt loslöst, ist er seinem Wesen nach ein Tier, und es sind die Lehren Gottes, die dieses Tier in eine menschliche Seele umwandeln.
Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs ist die Förderung der Erziehung. Jedes Kind muss im erforderlichen Umfang in den Wissenschaften unterrichtet werden. Können die Eltern die Kosten dieser Erziehung tragen, so ist es gut; andernfalls muss die Gemeinde die Mittel für den Unterricht des Kindes aufbringen.
Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs handelt von Recht und Gerechtigkeit. Ehe nicht Recht und Gerechtigkeit auf der Ebene des Daseins verwirklicht sind, werden alle Dinge in Unordnung sein und unvollkommen bleiben. Die Menschenwelt ist dann eine Welt der Unterdrückung und der Grausamkeit, ein Reich der Angriffslust und des Irrtums.
Kurz, es gibt viele derartige Lehren. Diese mannigfaltigen Prinzipien - die mächtigste Grundlage für der Menschen Glück, eine Gnadengabe des Barmherzigen - müssen die Sache des Weltfriedens ergänzen und damit verbunden werden, so dass Erfolge eintreten. Auf andere Art, für sich allein ist der Weltfrieden in der Menschenwelt nur schwer zu verwirklichen. So wie Bahá'u'lláhs Lehren mit dem Weltfrieden verknüpft sind, gleichen sie einer Tafel mit frischen, köstlichen Speisen aller Art. An dieser Tafel unermesslicher Gaben kann jede Seele finden, was sie ersehnt. Bleibt aber die Frage allein auf den Weltfrieden beschränkt, so sind die herausragenden Erfolge, die man erwartet und erhofft, nicht zu erzielen. Die Perspektive des Weltfriedens muss so sein, dass alle Gemeinschaften und Religionen ihre höchste Sehnsucht darin verwirklicht finden. Bahá'u'lláhs Lehren sind so beschaffen, dass alle Gemeinschaften der Welt, religiöse, politische oder ethische, althergebrachte oder neuzeitliche, den Ausdruck ihrer höchsten Wünsche darin finden.
Zum Beispiel finden die Gläubigen der Religionen in Bahá'u'lláhs Lehren die Begründung der allumfassenden Religion, einer Religion, die vollkommen auf die gegenwärtigen Verhältnisse paßt, echte, rasche Heilung der unheilbaren Krankheit schafft, alle Schmerzen stillt und das unfehlbare Gegenmittel für jedes tödliche Gift bietet. Denn wollten wir die Menschenwelt nach den derzeit herrschenden religiösen Nachahmungen einrichten und organisieren, wollten wir darauf der Menschheit Glück aufbauen, so wäre dies unmöglich und undurchführbar. Zum Beispiel wäre es unmöglich, die Gesetze der Thora und der anderen Religionen so durchzuführen, wie es heutiger Nachahmung entspricht. Den Wesensgrund aller göttlichen Religionen aber, der auf die Tugenden der Menschenwelt gerichtet ist und ihrer Wohlfahrt zugrundeliegt, findet man in den Lehren Bahá'u'lláhs in der vollkommensten Darstellung.
Ähnlich steht es um die Menschen, die nach Freiheit schreien. Die gemäßigte Freiheit, welche die Gewähr für die Wohlfahrt der Menschheit bietet und allumfassende Beziehungen aufrechterhält, findet ihre kraftvolle Ausprägung in den Lehren Bahá'u'lláhs.
So ist es auch bei den politischen Parteien: Die höchste Staatskunst, die Menschenwelt zu lenken, ja die Göttliche Politik findet sich in den Lehren Bahá'u'lláhs.
Desgleichen die Partei der "Gleichheit", welche die Wirtschaftsprobleme zu lösen sucht: Bis heute haben sich alle vorgeschlagenen Lösungen als undurchführbar erwiesen, außer den wirtschaftlichen Vorschlägen in den Lehren Bahá'u'lláhs, die durchführbar sind und der Gesellschaft nicht schaden.
Und so ist es auch mit anderen Interessengruppen. Wenn ihr euch in die Sache vertieft, werdet ihr die höchsten Ziele dieser Parteien in Bahá'u'lláhs Lehren finden. Die Lehren bilden die allumschließende Macht unter den Menschen und sind durchführbar. Es gibt aber manche Lehren aus der Vergangenheit wie die aus der Thora, die heute nicht mehr anwendbar sind. Das gleiche gilt von den anderen Religionen sowie den Lehrsätzen der verschiedenen Sekten und Parteien.
Zum Beispiel sagte Bahá'u'lláh über den Weltfrieden, dass der Höchste Gerichtshof begründet werden muss. Obgleich der Völkerbund geschaffen worden ist, ist er doch unfähig, den Weltfrieden zu errichten. Der Höchste Gerichtshof aber, den Bahá'u'lláh beschrieben hat, wird diese heilige Aufgabe mit größter Macht und Kraft erfüllen. Sein Plan geht dahin, dass die Nationalversammlungen jedes Landes und jeder Nation, das heißt, die Parlamente, zwei oder drei Personen auswählen, die Edelsten ihres Volkes, Kenner des internationalen Rechts sowie der Beziehungen zwischen den Regierungen, dazuhin vertraut mit den wesentlichen Bedürfnissen der heutigen Menschheit. Die Zahl dieser Abgeordneten sollte im Verhältnis zu der Bevölkerungszahl des Landes stehen. Die Wahl dieser Seelen durch die Nationalversammlung, das heißt, durch das Parlament, ist vom Oberhaus, vom Kongreß, vom Kabinett und ebenso vom Präsidenten oder Monarchen zu bestätigen, damit diese Persönlichkeiten die Gewählten des ganzen Volkes und der Regierung sind. Aus diesem Personenkreis sind die Mitglieder des Höchsten Gerichtshofes zu wählen. Die ganze Menschheit hat somit Anteil daran; denn jeder Abgeordnete vertritt die ganze Nation. Wenn der Höchste Gerichtshof zu einer internationalen Frage ein Urteil fällt, entweder einmütig oder durch Mehrheitsbeschluß, so gibt es keinen Einwand mehr für den Kläger und keine Ausflucht für den Beklagten. Falls eine Regierung oder Nation die unwiderlegliche Entscheidung des Höchsten Gerichtshofs mißachtet oder die Ausführung verschleppt, werden die übrigen Nationen dagegen auftreten; denn alle Regierungen und Nationen der Welt sind die Stutzen dieses Höchsten Gerichtshofs. Überlegt, wie fest diese Grundlage ist! Ein beschränkter, eingeengter Bund jedoch erfüllt den Zweck nicht angemessen. Dies ist die Wahrheit über die erwähnte Lage. ...
O Diener an der Schwelle Bahá'u'lláhs!¹ Dein Brief vom 14. Juni 1920 ist angekommen. Ein Brief von einigen Mitgliedern des Friedensausschusses ging ebenfalls zu; ihnen wurde eine Antwort erteilt. Händige sie ihnen aus.
Es ist klar, dass dieses Treffen nicht das ist, wofür es gehalten wird, ist es doch außerstande, die Angelegenheiten so zu ordnen, wie es richtig und nötig wäre. Wie dem auch sei: Die Sache, um die man sich bemüht, ist von höchster Wichtigkeit. Das Treffen im Haag sollte so viel Macht und Einfluß haben, dass sein Wort auf die Regierungen und Nationen wirkt. Weise die verehrten dort versammelten Mitglieder darauf hin, dass die vor dem Krieg abgehaltene Haager Konferenz den Zaren von Rußland zum Präsidenten hatte und dass ihre Mitglieder Männer von höchstem Rang waren. Dennoch hat das diesen schrecklichen Krieg nicht verhindert. Wie wird es weitergehen? In der Zukunft wird mit Sicherheit ein weiterer Krieg ausbrechen, schrecklicher als der letzte. Wahrlich, daran gibt es keinerlei Zweifel. Was kann das Treffen im Haag ausrichten?
Aber die von Bahá'u'lláh niedergelegten Grundsätze verbreiten sich Tag für Tag. Übergib ihnen die Antwort auf ihren Brief, zeige ihnen die größte Liebe und Güte; dann überlasse sie ihren eigenen Angelegenheiten. Auf jeden Fall solltest du ihr Wohlwollen erlangen, und wenn sie zustimmen, kannst du meinen ausführlichen Lehrbrief, der bereits ins Englische übersetzt ist, drucken lassen und verbreiten.
Was die Esperantisten betrifft, so pflege mit ihnen Umgang. Wann immer du unter ihnen jemanden aufnahmebereit findest, überbringe ihm den Duft des Lebens. Sprich bei allen Treffen über die Lehren Bahá'u'lláhs; denn das führt heutzutage in den westlichen Ländern zum Erfolg. Und wenn sie Fragen stellen über deinen Glauben an Bahá'u'lláh, so antworte, dass wir Ihn als der Welt höchsten Lehrer und Erzieher in diesem Zeitalter betrachten. Stelle sodann klar heraus und erkläre im einzelnen, dass diese Lehren über den Weltfrieden und andere Themen durch Bahá'u'lláhs Feder schon vor fünfzig Jahren offenbart wurden, dass sie bereits in Persien und Indien veröffentlicht und über die ganze Welt verbreitet sind. Anfangs standen alle der Idee des Weltfriedens skeptisch gegenüber und betrachteten sie als Unmöglichkeit. Sprich des weiteren über Bahá'u'lláhs Größe, über die Ereignisse in Persien und der Türkei, über Bahá'u'lláhs erstaunlichen Einfluß, über den Inhalt Seiner an alle Herrscher gerichteten Sendschreiben und über deren Erfüllung. Sprich auch über die Verbreitung der Bahá'í-Sache. Arbeite mit dem Ausschuß für den Weltfrieden im Haag so eng wie möglich zusammen und erweise ihnen alle Höflichkeit.
Es zeigt sich, dass die Esperantisten aufnahmebereit sind; du kennst ihre Sprache und bist darin bewandert. Setze dich auch mit den Esperantisten in Deutschland und anderswo in Verbindung. Das Schrifttum, das du verbreitest, sollte sich ausschließlich mit den Lehren beschäftigen. Die Verbreitung anderer Schriften ist derzeit nicht ratsam. Es ist meine Hoffnung, dass die göttlichen Bestätigungen dich ständig unterstützen...
Sei nicht traurig über die Gleichgültigkeit und Kälte der Haager Versammlung. Setze dein Vertrauen in Gott. Wir hoffen, dass die Esperanto-Sprache in Zukunft machtvoll auf das Volk wirkt. Du hast jetzt den Samen gesät. Sicherlich wird er wachsen. Sein Wachstum hängt von Gott ab.
"Dieser letzte Krieg hat der Welt und dem Volk bewiesen, dass Krieg Vernichtung ist, Weltfrieden dagegen Aufbau. Krieg ist Tod, Frieden hingegen Leben. Krieg ist Raubsucht und Blutgier, Frieden indessen Wohltat und Menschlichkeit." So leitet ‘Abdu’l-Bahá wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg Seine Antwort auf einen Brief des Exekutivausschusses der "Zentralorganisation für einen dauernden Frieden" ein. Beide, Autor und Adressat dieses Schreibens, teilen sich in die grundlegende Einsicht, "dass es heutigen Tages nichts Wichtigeres auf der Welt als den Weltfrieden gibt".
‘Abdu’l-Bahá verweist jedoch darauf, dass Frieden als isoliertes Ziel nicht zu realisieren ist; Frieden - wirklicher, dauernder Frieden - ist nur in einem geistig inspirierten und gehaltenen Gesamtkonzept zu haben. Quelle und Impulsgeber eines solchen Konzepts ist Ihm die Offenbarung Bahá'u'lláhs als umfassende religiöse Neuorientierung einer Zeit des Umbruchs in allen Aspekten menschlichen Lebens. Folgerichtig ist in diesem Brief das Motiv des Friedens aufs engste verwoben mit den Prinzipien einer Religion, welche nicht nur die individuelle Tugend der Nächstenliebe wieder belebt, sondern auch neue gesellschaftliche Maßstäbe setzt: die "Einheit der Menschheit" und die Verwirklichung der weltumfassenden Harmonie des "Größten Friedens" in einer der Gerechtigkeit verpflichteten globalen Ordnung. So kann dieser Brief ‘Abdu’l-Bahás, dessen "weitreichende Bedeutung" Shoghi Effendi ausdrücklich hervorhebt, (Gott geht vorüber, S. 350) durchaus als tragfähiges Modell einer zukunftsorientierten, friedenstiftenden Beziehung zwischen Religion und Politik verstanden und studiert werden.
‘Abdu’l-Bahá, der Autor des Briefes
‘Abdu’l-Bahá (1844-1921) arab. "Diener der Herrlichkeit", mit bürgerlichem Namen `Abbas Effendi`.¹
Er ist der Sohn Bahá'u'lláhs (1817-1892), des Stifters der Bahá'í-Religion, von Ihm testamentarisch zum Führer der Gemeinde und zum autorisierten Ausleger Seiner Schriften ernannt.
Die Bahá'í-Religion, 1844 in Persien entstanden, versteht sich als bislang letzte Entwicklungsstufe in einer unendlichen Folge von Offenbarungsreligionen, welche die gesamte Entwicklungsgeschichte der Menschheit formend begleiten. Irdisches Ziel und heilsgeschichtlicher Auftrag dieser jüngsten Gottesoffenbarung ist die schließliche Realisierung des seit alters verheißenen "Reiches Gottes auf Erden", zu dessen wesentlichen Bestandteilen die Einheit der Menschheit in allen Aspekten des Denkens und Handelns gehört, bei gleichzeitiger Bewahrung der Mannigfaltigkeit des kulturellen Erbes und individuellen Ausdrucks. Alle Lehren Bahá'u'lláhs, die ‘Abdu’l-Bahá in dem hier abgedruckten Brief anführt, dienen der Verwirklichung dieses Ziels. Diese sozialen Lehren - nicht zuletzt die Forderungen nach Gleichberechtigung der Geschlechter, sozialer Gerechtigkeit und bestmöglicher Erziehung aller - und der Anspruch auf eine Gottesoffenbarung nach Muhammad, fanden rasch die erbitterte Feindschaft der politischen und religiösen Gewalten des Iran und des Osmanischen Reiches. Die Anhänger der neuen Lehre wurden unbarmherzig verfolgt, gefoltert, zu Tausenden getötet, unter ihnen auch der Báb, der Herold Bahá'u'lláhs und Träger einer eigenen religiösen Sendung. In der Islamischen Republik Iran haben diese Verfolgungen in den letzten Jahren einen neuen Höhepunkt erfahren;¹
Bahá'u'lláh, der unablässig lehrte, "dass Religion zu Freundschaft und Liebe führen muss", lebte bis zu Seinem Tode im Jahre 1892 in Kerkerhaft und Verbannung. Seit 1852 teilte ‘Abdu’l-Bahá, damals knapp achtjährig, mit Seinem Vater Verbannung und Haft, aus der Er erst 1908 infolge einer allgemeinen Amnestie nach der Jungtürkischen Revolution freikam. Zwischen 1911 und 1913 bereiste Er Ägypten, Europa und Nordamerika, um die von Seinem Vater gestiftete Religion zu verbreiten und angesichts drohender internationaler Konflikte für den Frieden zu werben.¹
1920 wurde Er von König Georg V. von England für Seine humanitären Dienste während des Ersten Weltkriegs geadelt. Die Beisetzung ‘Abdu’l-Bahás in Haifa im Jahre 1921 wurde zur bislang volkreichsten Demonstration gemeinsamer Betroffenheit und Trauer sämtlicher Religionen und Bevölkerungsgruppen Palästinas.
Der Adressat: Die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden
Die "Zentralorganisation für einen dauernden Frieden" eine private Initiative engagierter Verfechter des Friedens mitten im Ersten Weltkrieg, wurde 1915 im Haag gegründet.¹
Ihr gehörten Vertreter von Friedensgruppen und Persönlichkeiten aus neutralen und kriegführenden Staaten an. Die Initiative zu dieser Organisation war von neutralem Boden ausgegangen; Friedensgruppen in der Schweiz und in den Niederlanden regten bereits im Herbst 1914 die Schaffung einer übernationalen Zentralstelle an. Diese sollte sich in allen Staaten auf nationale Organisationen stützen können. Nach schwierigen Sondierungsgesprächen konnte durch die energische Vorarbeit des Nederlandsche Anti-Oorlog Raads¹ schließlich vom 7.-10. April 1915 eine konstituierende Versammlung einberufen werden.²
Man verständigte sich auf die Einsetzung eines internationalen Komitees, dem zwei große Aufgabenbereiche übertragen wurden: Einmal, aus dem unmittelbaren praktischen Bedarf heraus geboren, eine Art Friedenslogistik, d.h. die Zusammenfassung und Koordination der vereinzelten am Frieden interessierten Kräfte. Die Versammlung war aber nicht nur beseelt von dem Wunsch, den Krieg zu beenden; ein künftiger Frieden sollte sicherer, dauerhafter werden. Diesem Ziel entsprach der zweite Auftrag an das Komitee der Zentralorganisation: Die Vorbereitung einer großen internationalen Studienkonferenz, welche die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden erforschen und ausarbeiten sollte. Man sah sich hier in der Tradition der beiden großen Friedenskonferenzen im Haag, verpflichtet dem Gedanken des internationalen Rechts und der Schiedsgerichtsbarkeit. Entsprechend suchte man auch den Anschein pazifistischen Sektierertums zu vermeiden, um Persönlichkeiten aus dem parlamentarisch-politischen Bereich, vor allem aber auch die angesehensten Völker- und Staatsrechtler zu gewinnen; für die Propagierung der Ziele begnügte man sich mit einem Minimalprogramm, statt ein utopisches ideales Friedensprogramm zu entwerfen.
Man kam überein, das Haager Büro des Anti-Oorlog Raads, ergänzt durch zusätzliche Mitglieder aus zwölf weiteren Staaten, als Exekutivausschuß der Zentralorganisation einzusetzen. Zu den Mitgliedern des Exekutivausschusses zählten
Thorvald Stauning (1873-1942): (ein führender Sozialdemokrat Dänemarks, 1924-26 und 1929-42 dänischer Ministerpräsident.)
Prof. Dr. Heinrich Lammasch (1853-1920): (Mitglied des österreichischen Herrenhauses, seit dem 27. 10. 1918 letzter k. k. Ministerpräsident, nachdem seine Ernennung im Sommer 1917 am massiven Widerstand des deutschen Militärs gescheitert war. Lammasch sondierte im Ersten Weltkrieg erfolglos einen Verständigungsfrieden mit dem Westen; er vertrat bei den Friedensverhandlungen den Gedanken des Völkerbunds und der österreichischen Neutralität. Mitglied des ständigen Schiedshofes im Haag.)
Prof. Dr. Walther Schücking (1875-1935): (Jurist und Politiker mit maßgeblichem Anteil an der organisierten Friedensbewegung. 1920 - 1928 Mitglied des deutschen Reichstags. 1930 Richter am ständigen Internationalen Gerichtshof.)
Jhr. Dr. Benjamin de Jong van Beek en Donk (1881-1948): (Friedensaktivist, von 1907 - 1916 im niederländischen Justizministerium tätig. De Jong van Beek en Donk war Sekretär des Anti-Oorlog-Raads und Generalsekretär der Zentralorganisation für einen dauernden Frieden.)
und Dr. Hendrik Coenraad van Dresselhuys (1870-1926): (Ministerialdirektor im niederländischen Justizministerium, Präsident des Exekutivausschusses.)
Die weiteren Mitglieder dieses Gremiums waren: Axel Theodor Baron Adelswärd (1860-1929): 1911-1914 schwedischer Finanzminister, Prof. R. Altamire (Spanien), Fannie Fern Andrews (1867-1950, USA), Goldsworthy Lowes Dickinson (1862-1932, Großbritannien), Monsignore Dr. Alexander Giesswein (1856-1923, Ungarn: (vermutlich identisch mit dem Prälat Alexander Giesswein, der 1913 in Budapest mit ‘Abdu’l-Bahá zusammengetroffen war) Prof. Dr. Halvdan Koht (1873-1965, 1935-1941 norwegischer Außenminister) Prof. Dr. Achille Loria (Italien), Paul Otlet (1868-1944, Belgien), Joseph Anton Scherrer-Füllemann (1847-1924, Schweiz)
Zweifellos war die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden die bedeutendste private Friedensinitiative internationalen Zuschnitts während des Ersten Weltkriegs; allein dass es möglich war, mitten im Krieg, unter den mißtrauischen Augen der kriegführenden Staaten, ein internationales Forum über die Bedingungen des Friedens und der Friedenssicherung aufzubauen, ist eine bleibende Leistung. Trotzdem konnte die Zusammenfassung der nationalen Friedensbewegungen nicht im erhofften Umfang verwirklicht werden. Zwar ließ sich die Basis der Organisation in den neutralen Ländern erfreulich ausweiten;¹
doch in den kriegführenden Staaten tat man sich erwartungsgemäß schwerer. Die Friedensgruppen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens ließen sich nur zu einem kleinen Teil zur Zusammenarbeit bewegen. Frankreich, Rußland und Japan waren überhaupt nicht in der Zentralorganisation vertreten. Der Einfluß auf die öffentliche Meinung blieb deshalb recht bescheiden und konnte sich nicht gegen die offizielle Kriegspropaganda behaupten.
Infolge unterschiedlicher Standpunkte in den nationalen Friedensgruppen (Etwa in der Bewertung der Kriegsschuldfrage) kam es auch nie zu der angestrebten internationalen Studienkonferenz. Statt dessen konnten fünf Studienkomissionen realisiert werden, die zu zentralen Fragen der Friedensorganisation Denkschriften verfaßten.¹ Ihre Ergebnisse übten einigen Einfluß auf den späteren Völkerbund aus. Nach der Bildung des Völkerbunds löste sich die "Zentralorganisation" auf.
Vorgeschichte und Begleitumstände des Briefwechsels
Wie kam es nun zu vorliegendem Brief ‘Abdu’l-Bahás an die Zentralorganisation? Aus Presseberichten hatte ein junger iranischer Bahá'í, Ahmad Yazdání¹ von der Gründung der "Zentralorganisation für einen dauernden Frieden" erfahren. In einem französisch verfassten Schreiben an diese Organisation legte er die Prinzipien der Bahá'í-Religion dar und verwies auf ‘Abdu’l-Bahá. Ein Brief der Zentralorganisation vom 11. Februar 1916 an ‘Abdu’l-Bahá erreichte diesen, bedingt durch die Kriegswirren, jedoch erst nach Ende des Ersten Weltkriegs. Dieser Brief liegt uns nicht vor, er dürfte aber mit großer Wahrscheinlichkeit das Mindestprogramm der Zentralorganisation und dessen offiziellen Kommentar enthalten haben.² Briefe früheren Datums, auf die in diesem Schreiben offenbar Bezug genommen wurde, erreichten ‘Abdu’l-Bahá nicht.
Das Antwortschreiben ‘Abdu’l-Bahás trägt das Datum vom 17. Dezember 1919.¹
Ibn-i-Asdaq¹
und Ahmad Yazdání sollten es im Auftrag ‘Abdu’l-Bahás im Haag überreichen. Ahmad Yazdání, den ‘Abdu’l-Bahá eigens aus dem Iran zu sich gerufen hatte, verließ Haifa im Mai 1920. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Zentralorganisation bereits aufgelöst. Wie Ahmad Yazdání in seinen Erinnerungen¹
mitteilt, gelang es jedoch, Kontakt zu drei Mitgliedern des ehemaligen Exekutivausschusses aufzunehmen¹
und ihnen das Schreiben ‘Abdu’l-Bahás zu übergeben. Es folgte ein weiterer Briefwechsel, während dessen die Bahá'í-Delegation in Den Haag blieb. Ibn-i-Asdaq und Ahmad Yazdání erhielten ein Schreiben mit Datum vom 12. Juni 1920 das sie an ‘Abdu’l-Bahá weiterleiteten. Dieser antwortete am 17. Juli 1920 (abgedruckt in Star of the West, Bd. 11, Nr. 17, vom 19. Januar 1921, S. 288f) wiederum durch persönliche Übermittlung von Ibn-i-Asdaq und Ahmad Yazdání.
Im Begleitbrief ‘Abdu’l-Bahás an Ahmad Yazdání zum zweiten Brief wird Seine Einschätzung der "Zentralorganisation" und der prekären Zeitumstände deutlich: "Es ist klar, dass dieses Treffen nicht das ist, wofür es gehalten wird, ist es doch außerstande, die Angelegenheit so zu ordnen, wie es richtig und nötig wäre. Wie dem auch sei: Die Sache, um die man sich bemüht, ist von größter Wichtigkeit. Das Treffen im Haag sollte so viel Macht und Einfluß haben, dass sein Wort auf die Regierungen und Nationen wirkt. Weise die verehrten dort versammelten Mitglieder darauf hin, dass die vor dem Krieg abgehaltene Haager Konferenz den Zaren von Rußland zum Präsidenten hatte und dass ihre Mitglieder Männer von höchstem Rang waren. Dennoch hat das diesen schrecklichen Krieg nicht verhindert. Wie wird es weitergehen? In der Zukunft wird mit Sicherheit ein weiterer Krieg ausbrechen, schrecklicher als der letzte. Wahrlich, daran gibt es keinerlei Zweifel. Was kann das Treffen im Haag ausrichten?" (Briefe und Botschaften 228:2)
Die Aktualität des Briefs
Diese realistische Einschätzung lässt die wesentlichen Aspekte des Friedensmodells ‘Abdu’l-Bahás, wie Er es in Seinem Brief an die "Zentralorganisation" formuliert, noch schärfer hervortreten: Bei aller Übereinstimmung im Grundanliegen des Friedens verweist ‘Abdu’l-Bahá auf zwei wesentliche Versäumnisse zeitgenössischer Friedenspolitik: auf die vernachlässigten geistigen Bedingungen des Friedenswunsches und die notwendigen institutionellen Voraussetzungen eines wirklich dauerhaften Friedens - Universalität der Mitgliedschaft und Durchsetzbarkeit der Entscheidungen -, die beide im neuentstandenen Völkerbund fehlten. ‘Abdu’l-Bahá lässt keinen Zweifel daran, dass eine Weltfriedensordnung notwendig ist, der die Begrenzungen des Völkerbunds nicht mehr anhaften. Auch das System der Vereinten Nationen hat für diese beiden Aspekte noch keine Lösung gebracht.
Der historische Realismus ‘Abdu’l-Bahás schöpft seine Kraft aus der visionären Gewißheit des zukünftigen Weltfriedens. So schreibt Er bereits 1875 mit Bezug auf die angestrebte Friedensordnung: "Der Tag wird sicher kommen, an dem ihr klares Licht Erleuchtung über die gesamte Menschheit gießen wird." (Das Geheimnis göttlicher Kultur, Oberkalbach 1973, S. 64)
Menschliches Streben allein wird diesen Frieden nicht erreichen; es ist zu begrenzt, zu sehr verhaftet in partikularen Interessen. Ein dauerhafter Frieden ist letztlich nur möglich als Geschenk göttlicher Gnade: "Andere Mächte sind zu schwach; sie sind unfähig, dies zu vollbringen." (Promulgation of Universal Peace, Wilmette 21982, P.12)
Doch dieser Frieden fällt nicht vom Himmel; die göttliche Gnade will umgesetzt sein in menschliches Handeln: "Eifer, unermüdlicher Eifer ist nötig. Nur unbezähmbare Entschlußkraft kann das Werk vollbringen." (Das Geheimnis göttlicher Kultur, a.a.O.; vgl. auch Promulgation, S.121)
In seiner Botschaft zum internationalen Jahr des Friedens 1985 greift das Universale Haus der Gerechtigkeit, das oberste Führungsgremium der Bahá'í-Weltgemeinde, die Grundaussagen ‘Abdu’l-Bahás auf. Ausgehend von der Feststellung, dass der "Weltfriede nicht nur möglich, sondern unausweichlich" ist (Die Verheißung des Weltfriedens, Hofheim-Langenhain 21985, S.7), verweist es die Menschheit erneut auf die Entscheidung, die angesichts des modernen Vernichtungspotentials drängender ist denn je: "Ob der Friede erst nach unvorstellbaren Schrecken erreichbar ist, heraufbeschworen durch stures Beharren der Menschheit auf veralteten Verhaltensmustern, oder ob er heute durch einen konsultativen Willensakt" herbeigeführt wird, das ist die Wahl, vor die alle Erdenbewohner gestellt sind. Zu diesem kritischen Zeitpunkt, da die hartnäckigen Probleme der Völker zur gemeinsamen Sorge aller werden, wäre das Versäumnis, der Flut von Konflikt und Unordnung zu wehren, gewissenlos und unverantwortlich. Eine von allen Völkern gemeinsam getragene Weltfriedensordnung, vertraglich vereinbart, institutionell gesichert, mit Schiedsinstanzen und einer Exekutive, die mit realer Macht ausgestattet sind - dieser Vorschlag ‘Abdu’l-Bahás ist heute dringlicher denn je. "Von ganzem Herzen appellieren wir an die Staatsmänner, diese günstige Stunde zu nutzen und unwiderrufliche Schritte zur Einberufung dieser Weltversammlung zu unternehmen. Alle Kräfte der Geschichte drängen die Menschheit zu dieser Tat, die für alle Zeiten den Anbruch ihrer langerwarteten Reife kennzeichnen wird... Diese machtvolle Versammlung ist längst überfällig." (a.a.O., S. 33)
Ulrich Gollmer
‘Abdu’l-Bahá DER WELTFRIEDENSVERTRAG
Wir freuen uns, wenn diese Seiten Interesse bei euch finden, es gibt viel über den Bahà'ì Glauben, über Belarus und andere Länder zu lesen und erleben.
Wir wollen nun auch noch mehr über unseren Lebensstil mitteilen.
Viel Spaß wünschen wir euch beim durchblättern der Seiten.