Das Gebet ist laut dem Bahá'í-Glauben von zentraler Bedeutung für die eigene spirituelle Existenz. Es ist das Mittel, durch das die Schöpfung mit dem Schöpfer kommuniziert. Es gibt zahlreiche Gebete, die von Bahá'u'lláh, dem Báb und Abdu'l-Bahá offenbart wurden, und jedes dieser Gebete drückt unsere innersten Bedürfnisse aus und bietet uns Führung, wie es unsere eigenen Worte selbst nicht könnten.
Zusätzlich zu den vielen enthüllten Gebeten gibt es auch die täglichen Pflichtgebete – offenbart von Bahá'u'lláh - die jeden Tag individuell und privat gesprochen werden. Die Menschen können eins von drei Gebeten wählen – ein kurzes Pflichtgebet zwischen Mittag und Sonnenuntergang, ein mittleres Pflichtgebet, das dreimal am Tag rezitiert wird, oder ein langes Pflichtgebet, das einmal im Laufe des Tages gesprochen wird.
Bahá'u'lláh schrieb Folgendes:
»Wahrlich, Ich sage, Pflichtgebet und Fasten haben vor Gott einen erhabenen Rang.«
Abdu'l-Bahá bestätigte, dass diese Gebete »Demut und Ergebenheit fördern« und »den Menschen veranlassen, sein Angesicht Gott zuzuwenden und Ihm seine Verehrung darzubringen.«
Was bedeutet es, dass das Gebet "obligatorisch" oder "verpflichtend" ist?
Im Duden lesen wir: »durch ein Gesetz o. Ä. vorgeschrieben, verbindlich.«
Setzen wir das Wort "verpflichtend" vor "Gebet", könnte dies einen gewissen Trotz heraufbeschwören, ähnlich wie man als Kind wusste, dass man seine Hausarbeit machen musste, bevor man hinausgehen und spielen konnte. Das niedere Selbst möchte nicht das Gefühl haben, dass ihm befohlen wird, etwas zu tun, und so kann das Pflichtgebet zu einem täglichen Kampf werden, um dieses niedere Selbst zu überwinden.
Abdu'l-Bahá beschreibt diese Pflicht wie folgt:
»Die Pflichtgebete sind bindend, weil sie Demut und Ergebenheit bewirken, den Menschen sein Angesicht Gott zuwenden und seine Hingabe an Ihn zum Ausdruck bringen lassen. Durch solches Gebet pflegt der Mensch Verbindung mit Gott, sucht Ihm nahezukommen, hält Zwiesprache mit dem wahren Geliebten seines Herzens und erreicht geistige Stufen.«
Eigentlich ist es eine Gnade, das Gebet täglich in Andacht zu sprechen, und mein weltliches Dasein etwas zurückzunehmen, weiß ich doch, wie gesegnet ich bin, die Pflichtgebete zu haben, offenbart für uns durch die Manifestation Gottes.
Was ist an diesen drei Gebeten so wichtig, dass sie verpflichtend gemacht wurden?
Bahá'u'lláh sagt, Er habe die Gesetze über das Pflichtgebet und das Fasten offenbart, damit die Gläubigen Gott nahekommen.
Wenn du jemals versucht hast tägliche Bestätigungen zu erfahren, wirst du sehen, wie Wiederholungen in deinem Leben signifikante Veränderungen bewirken können: Dein Fokus kann klarer definiert werden; das Gehirn programmiert sich neu, um auf bestimmte Phänomene zu achten; Sie beginnen, Ihr Leben um bestimmte Ziele zu strukturieren und sich darauf zu konzentrieren, sie zu erreichen. Ein tägliches Gebet ist wie eine tägliche Bestätigung, aber mit einer göttlichen Kraft dahinter.
In einer Tafel, welche die verbindlichen Pflichtgebete kommentiert, weist Abdu'l-Bahá darauf hin:
»Ein jedes Wort und jede Haltung des Pflichtgebets birgt Anspielungen, Geheimnisse und eine Weisheit, die der Mensch nicht begreifen kann und Buchstaben und Schriftrollen nicht zu fassen vermögen.«
Nach Shoghi Effendi haben die wenigen einfachen Anleitungen Bahá'u'lláhs für das Rezitieren bestimmter Gebete geistige Bedeutung; darüber hinaus helfen sie dem Menschen, »sich beim Beten und Meditieren voll zu konzentrieren.«
»Die täglichen Pflichtgebete … wurden von Bahá'u'lláh mit besonderer Wirkkraft und Bedeutung versehen. So sollten sie verstanden werden. Die Gläubigen sollten sie mit dem unbedingten Glauben und Vertrauen lesen, dass sie durch diese Gebete in viel engere Verbindung mit Gott treten und sich noch mehr mit Seinen Gesetzen und Geboten identifizieren können.«- Aus: Bahá'í-Gebete
Das kurze Pflichtgebet lautet so:
»Ich bezeuge, o mein Gott, dass Du mich erschaffen hast, Dich zu erkennen und Dich anzubeten. Ich bezeuge in diesem Augenblick meine Ohnmacht und Deine Macht, meine Armut und Deinen Reichtum. Es gibt keinen Gott außer Dir, dem Helfer in Gefahr, dem Selbstbestehenden.«
Die Forderung, dass die Bahá'í der Qiblih gegenüberstehen (das Heiligste Grab - Herz und Qiblih der Bahá'í-Welt, wo Bahá'u'lláh in Akká, Israel, begraben wurde), während sie das Pflichtgebet sprechen, ist ebenfalls interessant und voller spiritueller Bedeutung. Es wird von Shoghi Effendi als physisches Symbol einer inneren Wirklichkeit erklärt, so wie sich die Pflanze zum Sonnenlicht hin ausstreckt – von dem sie Leben und Wachstum erhält -, so richten wir, wenn wir beten, unser Herz auf die Manifestation Gottes, Bahá'u'lláh; und wir wenden unsere Gesichter dorthin, wo sein Staub auf dieser Erde liegt, als Symbol der inneren Haltung.
Allein diese Forderung fasst viel von dem zusammen, was das Pflichtgebet ist: ein tägliches Mittel, um sich an Gott zu erinnern. Das Pflichtgebet gibt uns den Fokus und die Struktur, die wir für das spirituelle Wachstum brauchen, und bringt uns Gott näher. Es leitet uns in unserem täglichen Leben und prägt unser Potenzial, für unsere Familien und Gemeinden einen Beitrag zu leisten.
Angesichts der zentralen Rolle in unserem Leben und in unserem geistigen Wohlbefinden wird es leicht zu verstehen sein, warum es "eine Pflicht" ist. Das Erfordernis des Pflichtgebets dient eher als Schutz als nur als Gesetz und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die tägliche Nahrung, die unsere Seele benötigt, und stellt sicher, dass wir uns aus unserem geschäftigen Leben heraus Zeit nehmen, um diesem wichtigen Bedürfnis zu begegnen.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit wertet das Pflichtgebet und das Lesen in den Schriften, wie folgt:
»… sich jeden Tag die Zeit nehmen, um in den Schriften zu lesen und das Pflichtgebet zu sprechen, welches die Quellen der wachsenden geistigen Stärke, Verstehens und Zuneigung zu Gott sind.«
Das tägliche Pflichtgebet besteht darin, uns daran zu erinnern, wer oder was wir sind – ein nichts im Vergleich zu unserem Schöpfer. Wenn Ego oder Stolz unseren geistigen Fortschritt behindert, hilft uns diese tägliche Erinnerung, unser Gleichgewicht wiederzufinden.
Zum Abschluss möchte ich noch eine weitere Aussage des Universalen Hauses der Gerechtigkeit anführen:
»Es muss auffallen, wie privat und persönlich die grundlegendsten geistigen Übungen des Gebets und der Meditation in unserem Glauben sind. Natürlich kommen die Bahá'í auch zum gemeinsamen Gebet zusammen, z. B. im Haus der Andacht (Mashriqu’l-Adhkár) oder zu den Neunzehntagefesten, aber die täglichen Pflichtgebete müssen in der Abgeschiedenheit des eigenen Zimmers gesprochen werden, und das Meditieren über die Lehren ist ebenfalls eine private Tätigkeit des einzelnen, keine Form von Gruppentherapie.«
Gott segne euch.
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