Ist organisierter / institutionalisierter interreligiöser Dialog wirklich wichtig? - Ja, wird dort ein wirklicher Dialog überhaupt geführt? Auf die erste Frage gab der katholischökumenische Prof. Hans Küng vor etlichen Jahren die Antwort: Kein Weltfrieden ohne Frieden unter den Religionen; kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog der Religionen!
Wenn er mit dieser Auffassung richtig liegt, was unsere Schriften zu stützen scheinen, dann dürfen wir uns diesem Dialog nicht entziehen, weil es dabei auch um den Weltfrieden geht, welcher ja zu den heraus ragenden Zielen der Bahá'í-Religion zählt und uns besonders am Herzen liegen sollte.
Hierzu gibt es bereits wissenschaftliche Theorien und Ansätze zu einer "pluralistischen Religionstheologie", welche von Christen entworfen wurden und sich um folgende Fragen zu drehen scheinen: Sollte man eher als Individuum oder als Repräsentant seiner Gemeinschaft in den Dialog eintreten? Darf man den Anspruch der eigenen Gemeinschaft auf Überlegenheit beiseite lassen? Darf man sich als Individuum oder gar als Gemeinschaft durch den Dialog verändern?
Auch die Bahá'í werden sich diesen Fragen verstärkt stellen müssen! - Werden dabei gemeinsame oder individuelle Antworten auf diese Fragen eine größere Rolle spielen? Oder dürfen solche Antworten dann gleich berechtigt neben einander stehen?
Da hätten wir etwa die heikle Frage des "Lehrens": Darf und muss ich das Lehren der Bahá'í-Sache im Dialog hintan stellen oder - was sich vielleicht nicht unbedingt gegenseitig ausschließt - sollte ich diesen geschickt nutzen um den Andersgläubigen so viel wie möglich davon zu vermitteln?
Die Praxis erscheint mir in diesem Falle leichter als die Theorie, denn Dialoggruppen nehmen uns Bahá'í als Mitwirkende wahr und fragen uns oft: "Können Sie bitte eine Stellungnahme Ihrer Gemeinschaft zu diesem Thema erarbeiten und uns vorstellen? Wir wissen nämlich nichts darüber, wie die Bahá'í-Religion zu dieser Angelegenheit steht!" Ist ein Bahá'í-Beitrag in einer solchen Situation "Lehren", "Proklamation" oder noch etwas Anderes? Und dürfen wir uns in dieser Situation von Andersgläubigen lehren oder beeinflussen lassen?
Shoghi Effendi schrieb im Buch 'Die unschätzbare Perle' einst an den Palästina-Sonderausschuss der Vereinten Nationen über die "großen Religionen der Welt", "dass ihre Lehren nur Facetten der einen Wahrheit sind, dass ihre Aufgaben sich ergänzen ...".
In "Weltordnung Bahá'u'lláhs" stellte er fest, dass es die Aufgabe der Bahá'í-Offenbarung gegenüber anderen Religionen sei u. a. "die ursprüngliche Reinheit ihrer Lehren wieder herzustellen, ihre Aufgaben einander zuzuordnen und zur Verwirklichung ihrer höchsten Bestrebungen beizutragen" . Und schließlich - im selben Werk veröffentlicht - "vermittelt dieser Glaube jedem seiner Anhänger eine neue Liebe für die verschiedenen Religionen, die in seinem Bereich vertreten sind und für die Einheit, die ihnen allen zugrunde liegt.". Gerade die letzte Formulierung zeigt meines Erachtens, dass es dabei nicht um eine bloß abstrakte Einsicht gehen kann, sondern um etwas, das im Kontakt mit Andersgläubigen entsteht!
"Herzlichkeit und Eintracht" (Kitab-i-Aqdas), den "Geist des Wohlwollens und der Verbundenheit" (Botschaften aus Akka), "des Wohlwollens und der Brüderlichkeit" hatte schon Bahá'u'lláh von uns im Umgang mit Andersgläubigen gefordert.
Was aber könnte mit Shoghi Effendis "Aufgaben", die "sich ergänzen" bzw. "einander zuzuordnen" sind, gemeint sein? Sind also jetzt und vielleicht auch in näherer Zukunft Buddhisten für Meditation, Hindus für fröhliche und ausgelassene religiöse Feiern, Juden für den Bezug zum Heiligen Land, Christen für praktische Dienste am Nächsten und Muslime für häufiges Beten zuständig? Und die Bahá'í vielleicht für eine Koordination dieser Aktivitäten, weil sie sich mit allen Religionen verbunden fühlen? Ich habe hier bewusst etwas übertrieben, indem ich die Frage nach bestimmten Schwerpunkten in den Religionen wie nach einer Art Fachbereichs-Einteilung behandelt habe. Zeigt dies doch immerhin, dass derzeit bestimmte Eigenarten zu erkennen sind!
Wichtig wird für uns Bahá'í m. E. sein: Dürfen wir von Buddhisten (oder Quäkern) Meditation lernen? Von Hindus fröhliches Feiern? Von Juden Sehnsucht nach dem Heiligen Land? Usw. ...
Sollten wir diese Fragen bejahen, dann werden sich im Dialog voraussichtlich nicht mehr nur einzelne Mitglieder unserer Gemeinden verändern und entwickeln, sondern unsere Gemeinden als Ganze womöglich sich im Hinblick auf die Vielfalt ihrer religiösen Aktivitäten transformieren.
Ein angemessenes und ausgewogenes Verhältnis von entwickelter Spiritualität und Verwaltungsordnung könnte ein wichtiger Festigungs- und Wachstumsfaktor unserer Gemeinden werden. Darüber müssten wir wahrscheinlich noch mehr nachdenken und beraten als bisher.
Der volle Artikel, Interreligiöser Dialog und Bahá'í-Identität, kann hier heruntergeladen werden.
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