Barmherzigkeit gehört zu den zentralen Begriffen der Sozialethik und der Religionen. Im Judentum, Christentum, Islam und bei den Bahá’í wird Barmherzigkeit zugleich als eine herausragende Eigenschaft Gottes angesehen. Barmherzigkeit ist zum Beispiel die Jahreslosung der evangelischen Kirche für das Jahr 2021.
Jesus Christus spricht: »Seid barmherzig wie auch euer Vater barmherzig ist.«
(Lukas Kapitel 6, Vers 36)
Wir sehen, dass Barmherzigkeit uns zum Adjektiv barmherzig führt; wenn wir nun noch Synonyme zu barmherzig betrachten, wie milde, mitfühlend sein, nachsichtig sein, gütig sein, von Herzen gut sein, verstehen wir das vielleicht noch etwas besser. Lassen wir dies etwas auf uns wirken.
Wir haben die Worte von Christus gelesen: »Seid barmherzig wie auch euer Vater barmherzig ist.«
Bedeutet das, dass unsere Taten zuerst kommen müssen? Erst dann können wir auch die Barmherzigkeit Gottes erfahren.
Menschen könnten aber nur dann barmherzig handeln, wenn sie auch darum wissen würden, dass sie selbst angewiesen sind auf die Barmherzigkeit Gottes und seiner Vergebung.
»Aber des Menschen Bestreben sollte sich darüber erheben. Er sollte immer über sich blicken, immer auf- und vorwärts, bis er durch Gottes Barmherzigkeit zum Himmelreich gelangt.«
»Wenn aber der Geschlagene vergibt und verzeiht, zeigt er die größte Barmherzigkeit. Dies ist der Bewunderung wert.«
(‘Abdu’l-Bahá)
Die Bereitschaft, selbst anderen gegenüber barmherzig zu handeln, hat dort eine Chance, wo wir selbst am eigenen Leibe einmal Barmherzigkeit erfahren haben. Barmherzigkeit erlernt man nicht, man erfährt sie - und verliert so nach und nach die Angst, durch Verzicht auf eigene Ansprüche selbst zu kurz zu kommen.
»Betet, dass Er ihnen geistiges Verständnis schenke und sie Duldsamkeit und Barmherzigkeit lehren möge, auf dass sich das Auge ihres Gemütes öffne und sie mit der Gabe des Geistes ausgestattet werden.«
(‘Abdu’l-Bahá; 'Ansprachen in Paris')
Die Barmherzigkeit ist eine Eigenschaft des menschlichen Charakters. Eine barmherzige Person öffnet ihr Herz fremder Not und nimmt sich ihrer mildtätig an.
Barmherzigkeit lernen Kinder wohl als Erstes von ihren Eltern und ihrem Umfeld, im Reifealter aus ihrem eigenen Denken, psycho-sozialen Studien und natürlich aus den Heiligen Schriften.
Gott, der Vater aller Menschen, kann dieses Vorbild sein. Die Beispiele für Gottes Barmherzigkeit sehen wir bei allen Boten Gottes am deutlichsten.
In der Schrift Bahá’u’lláhs, 'Brief an den Sohn des Wolfes', finden wir einige Stellen dazu:
»Die Hand des Willens deines Herrn, des Mitleidsvollen, des Barmherzigen, verwandelte Mich.«
»Ihr seid die Buchstaben der Worte, ihr seid die Worte des Buches. Ihr seid die Triebe, die die Hand der Güte in den Boden der Barmherzigkeit pflanzte und die die Schauer der Großmut zum Blühen brachten.«
»Wenn du auf Barmherzigkeit siehst, dann gib auf, was dir Nutzen bringt, und halte dich an das, was der Menschheit nützt.«
»Ich bitte euch, einen und alle, dringend, eure Gebete mit den meinigen zu verbinden, auf dass Krieg und Blutvergießen ein Ende finden und Liebe, Freundschaft, Frieden und Eintracht die Welt beherrschen mögen!«
»Sind wir von Schwierigkeiten umringt, so brauchen wir nur Gott zu rufen, und Seine große Barmherzigkeit wird uns helfen.«
(‘Abdu’l-Bahás/Ansprachen in Paris)
Gebet in seiner höchsten Form ist der reine Ausdruck liebevoller Hinwendung zu Gott. Dennoch ist es nur allzu verständlich, dass wir oft Gottes Hilfe erbitten und erflehen. Nach einem solchen Gebet werden wir nachdenken und nach dem handeln, was uns als der beste Weg erscheint, in der Hoffnung, dass unsere Bemühungen bestätigt werden. Wir sollten volles Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes haben und darauf, dass Er das gewähren wird, was für uns und unsere Nächsten am besten ist.
»Es ist unsere tiefe Überzeugung, dass alle Menschen dazu erschaffen sind, „eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen“, dass „wie die Tiere auf dem Felde zu leben, des Menschen unwürdig“ ist, dass die der Menschenwürde entsprechenden Tugenden Vertrauenswürdigkeit, Nachsicht, Barmherzigkeit, Mitleid und Güte gegenüber allen Menschen sind.«
(Botschaft des Universalen Hauses der Gerechtigkeit)
»Vertraut auf die Heerschar der Gerechtigkeit, legt den Harnisch der Weisheit an, schmückt euch mit Vergebung und Barmherzigkeit sowie mit allem, was den Begünstigten Gottes das Herz erfreut.«
(Bahá’u’lláh, 'Botschaften aus ‘Akká')
Das Zusammenleben in unserer Zeit sollte gewissermaßen zunehmend von Barmherzigkeit geprägt sein – durch Mitgefühl für andere Menschen, aber mehr noch für die Natur: Liebe üben, sich achtsam und respektvoll um alle verlassenen Lebewesen kümmern, sauberes Wasser, frische Luft – das sind die Ziele für ein normales zukünftiges Leben. Die Natur erinnert uns ständig daran, mitfühlender damit umzugehen! Wir sind nicht allein auf diesem Planeten! Wir brauchen einen neuen Kompass, ein “an Barmherzigkeit orientiertes Herz” für die richtige Orientierung auf unserem Lebensweg.
»Gottes Barmherzigkeit hat wahrlich alle erschaffenen Dinge umfangen – wolltet ihr es doch begreifen!«
Das ist bestimmt ein Weg, aber Handlung muss auf das Gebet folgen, unsere Taten müssen mehr als Worte sein. In Taten Barmherzigkeit üben, Zivilisation verbreiten, der Wissenschaft zum Fortschritt helfen, Künste entwickeln und wertschätzen; Menschen fördern, ein geduldiges Leben des tätigen Dienstes zu leben, durch unsere Handlungen das göttliche Licht offenbaren.
»Durch ihre Taten müssen sie barmherzig sein und nicht durch ihre Worte.«
(‘Abdu’l-Bahá, 'Ansprachen in Paris')
»Es ziemt den Geliebten des Herrn, Zeichen und Beweise Seiner allumfassenden Barmherzigkeit zu sein, Verkörperungen Seiner alles überragenden Gnade.«
(Botschaft des Universalen Hauses der Gerechtigkeit)
Der Mensch trägt die geistigen Eigenschaften wie Vertrauenswürdigkeit - neben Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Großzügigkeit auch als Werte oder Tugenden bezeichnet - in sich und wird dazu angehalten, sie auszuprägen und schließlich sein angelegtes Potenzial zu entfalten bzw. zum Ausdruck zu bringen.
»Die Wahrheit ist Gottes Führung, sie ist das Licht der Welt, ist Liebe und Barmherzigkeit. Diese Eigenschaften der Wahrheit sind auch menschliche Tugenden, die der Heilige Geist eingibt«
(‘Abdu’l-Bahá, 'Ansprachen in Paris')
Die Urerfahrung des an Gott glaubenden Menschen ist die an Jesus ablesbare Gewissheit, dass Gott mehr liebt als wir Ihm zutrauen. Gottes unfassbare Barmherzigkeit uns gegenüber, für die Jesu Lebenshingabe in den Tod steht, ist die unerschöpfliche Quelle menschlicher Barmherzigkeit. Barmherzigkeit hat über die Zeiten unterschiedliche Ausprägungen gehabt.
»Selig der Mensch, der sich löst von allem außer Mir, sich aufschwingt in die Höhen Meiner Liebe, der Einlass findet in Mein Reich, Meine Gefilde der Herrlichkeit schaut, die Lebenswasser Meiner Gaben leert, sich am himmlischen Strom Meiner liebenden Vorsehung satt trinkt, mit Meiner Sache vertraut wird, begreift, was Ich in den Schatzkammern Meiner Worte verborgen habe, und, Meinen Ruhm und Preis kündend, vom Himmel göttlicher Erkenntnis strahlt. Wahrlich, Er ist von Mir. Mit ihm seien Meine Barmherzigkeit, Meine Gnade, Meine Wohltat und Meine Herrlichkeit.«
(Bahá'u'lláh 'Sendbrief an die Christen')
Barmherzigkeit bedeutet auch, über unsere eigenen Bedürfnisse, Leiden oder Bequemlichkeiten hinauszuschauen und die Bedürfnisse anderer zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen, um ein Lächeln auf ihre Gesichter und Wärme in ihre Herzen zu zaubern.
»Meine Feder stockt, wenn sie die Höhe und Herrlichkeit einer so erhabenen Stufe gebührend zu beschreiben sucht. Mit solcher Ehre wird die Hand der Barmherzigkeit die Seele bekleiden, dass keine Zunge es gebührend schildern, noch ein anderes irdisches Mittel es beschreiben kann.«
»Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Nur die Erziehung kann bewirken, dass es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus Nutzen zu ziehen vermag. Jeder Mensch, der darüber nachsinnt, was die aus dem Himmel des heiligen Willens Gottes herabgesandten Schriften offenbart haben, wird leicht erkennen, wie es ihr Ziel ist, dass alle Menschen als eine Seele betrachtet werden sollen, damit das Siegel mit den Worten »Das Reich wird Gottes sein« jedem Herzen aufgeprägt werde, und das Licht göttlicher Großmut, Gnade und Barmherzigkeit die ganze Menschheit umhülle.«
(Bahá’u’lláh, 'Botschaften aus ‘Akká')
Seid barmherzig, teilt eure Liebe, lasst keine Zeit vergehen; wir wissen nie, wie lange wir noch Barmherzigkeit zeigen und teilen können.
Wir wünschen allen eine schöne Zeit des Gebens!
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