In diesem Buch, das geschrieben wurde, nachdem Bahá'u'lláh sich an die Herrscher der Welt gewandt hatte, stellte ‘Abdu’l-Bahá ein kohärentes Programm zur Regenerierung der Gesellschaft vor, das auf universeller Bildung und der Ausrottung von Unwissenheit und Fanatismus aufbaut. Die allgemeinen Grundsätze, die dieses Buch vertritt, sind nach Ansicht der Bahá'í von universeller Bedeutung.
Das Ziel des Buches kann mit folgenden Worten beschrieben werden: Freiheit, Fortschritt, demokratische Strukturen und eine religiöse Fundierung der Gesellschaft - wie dies zusammengehen kann erläuterte ‘Abdu’l-Bahá in diesem Appell an die Führungselite und das Volk Persiens aus dem Jahre 1875. Das Hohelied der Göttlichen Politik, die immer Entwicklungspolitik war und ist - so kann man den Appell ‘Abdu’l-Bahás nennen. Er definiert den hierachischen Aufbau der Gesellschaft; er erläutert die Stufe und die Eigenschaften des wahren gebildeten Menschen, der seiner politischen Verpflichtung bewusst wird - nicht als einer leidigen Last, sondern in tiefer Liebe zu Wertbegriffen, Vorbildern, Zielvorstellungen und im Erbarmen mit der Not der Menschheit.
In Anbetracht der aktuellen Lage des Weltgeschehens ist dieses Buch für jeden äußerst aktuell, mit vielen sehr wertvollen Informationen und Ideen. Wenn auch nur einige der in diesem Buch gegebenen Ratschläge befolgt würden, wären wir dem Ziel der Einheit der Menschheit ein Stück näher. Wir empfehlen dieses Buch auf jeden Fall jedem, der weitere Einblicke in die Ideale und die Philosophie des Bahá'í-Glaubens sucht.
Siehe auch: Wer war ‘Abdu’l-Bahá?
'Das Geheimnis Göttlicher Kultur' kann in der Bahá'í-Bibliothek Erfurt ausgeliehen werden.
Einige Auszüge des Buches sind nachfolgend aufgeführt:
(1) »Preis und Dank seien der Vorsehung, dass sie unter allen existierenden Wirklichkeiten die Wirklichkeit des Menschen auserwählt und ihn mit Verstand und Weisheit, den zwei am hellsten strahlenden Lichtern in beiden Welten, ausgezeichnet hat. Durch das Wirken dieser großen Gnadengabe hat Gott in jedem Zeitalter wunderbare neue Anordnungen im Spiegel der Schöpfung entstehen lassen. Wenn wir die Welt des Seins unvoreingenommen betrachten, wird uns klar, dass der Tempel des Seins von Zeitalter zu Zeitalter unablässig mit frischer Anmut ausgeschmückt und mit ständig neuer Pracht ausgezeichnet wurde, die von der Weisheit und Kraft des Denkens herrühren.«
(2) »Dieses erhabenste Zeichen Gottes steht an erster Stelle in der Schöpfungsordnung und nimmt auf höchster Stufe den Vorrang vor allen erschaffenen Dingen ein; dies bezeugt die heilige Überlieferung: "Vor allem anderen schuf Gott den Verstand." Seit Anbeginn der Schöpfung war der Verstand dazu bestimmt, sich im Tempel des Menschen zu offenbaren.«
(3) »Bedenket wohl: Diese vielen verschiedenen Phänomene, diese Begriffe und Erkenntnisse, die technischen Verfahren und die philosophischen Systeme, die Wissenschaften, Künste, Gewerbe und Erfindungen – alle sind Ausstrahlungen des menschlichen Verstandes. Jedem Volk, das sich weiter in dieses uferlose Meer hineinwagte, ist es gelungen, die anderen Völker zu übertreffen. Glück und Stolz einer Nation bestehen darin, dass sie wie die Sonne am Himmel des Wissens erstrahlt. "Sollen die, welche erkennen, gleich behandelt werden wie die, welche in Unwissenheit leben?" Und Ehre und Würde des Einzelnen liegen darin, dass er inmitten aller Völker zu einer Quelle gesellschaftlichen Wohles wird. Gibt es eine größere Gnade als die, dass ein Mensch, wenn er in sich geht, feststellen darf, dass er, durch göttliche Gnade bestätigt, die Ursache für Frieden und Wohlergehen, Glück und Nutzen unter seinen Mitmenschen wurde? Nein, bei dem einen wahren Gott! Es gibt keine größere Freude, kein vollkommeneres Glück.«
(4) »Wie lange werden wir noch auf den Flügeln der Leidenschaft und eitlen Begierde dahintreiben? Wie viele Tage werden wir noch wie die Barbaren in den Tiefen der Unwissenheit und der Gemeinheit verbringen? Gott hat uns Augen gegeben, damit wir uns in der Welt umschauen und alles festhalten, was unsere Kultur und unsere Lebensweise verbessert. Er hat uns Ohren gegeben, damit wir zu unserem Nutzen auf die Weisheit der Gelehrten und Philosophen hören und uns aufmachen, ihre Lehren zu unterstützen und in die Tat umzusetzen. Sinne und Fähigkeiten sind uns verliehen worden, damit wir sie dem Dienst am Allgemeinwohl weihen, so dass wir, die wir uns durch Wahrnehmungsvermögen und Verstand von allen anderen Lebensformen unterscheiden, uns allezeit und in jeder Hinsicht, seien die Anlässe wichtig oder unbedeutend, üblich oder außergewöhnlich, darum bemühen, die ganze Menschheit sicher in der unbezwingbaren Feste des Wissens zu versammeln. Unablässig sollten wir neue Voraussetzungen für menschliches Glück schaffen, fortgesetzt sollten wir neue Instrumente entwickeln und fördern, um dieses Ziel zu erreichen. Wie erhaben, wie hochgeehrt ist ein Mensch, wenn er sich aufmacht, seiner Verantwortung gerecht zu werden; wie erbärmlich und verachtenswert ist er, wenn er seine Augen vor dem Wohlergehen der Gesellschaft verschließt und sein kostbares Leben damit vergeudet, selbstischen Interessen und persönlichem Nutzen nachzujagen! Der Mensch wird höchstes Glück erlangen und die Zeichen Gottes in der Welt und in der Menschenseele wahrnehmen, wenn er auf dem Ross hehren Bestrebens in die Kampfbahn der Kultur und Gerechtigkeit prescht. "Wir werden ihnen wahrlich Unsere Zeichen zeigen, in der Welt und in ihnen selbst".«
(5) »Wir müssen den hohen Entschluss fassen, uns zu erheben und alle jene Mittel zu ergreifen, die Frieden, Wohlstand und Glück, Erkenntnis, Kultur und Industrie, Würde, Wert und Stufe der gesamten Menschheit voranbringen. Auf diese Weise wird durch die belebenden Wasser reiner Absicht und selbstlosen Bemühens der Boden menschlicher Fähigkeiten in seiner eigenen latenten Vortrefflichkeit sich entfalten und lobenswerte Eigenschaften hervorbringen und gedeihen, bis er mit dem Rosengarten der Erkenntnis, der unseren Vorvätern eigen war, wetteifern kann. Dann wird dieses heilige Land Persien in jeder Hinsicht zum Brennpunkt menschlicher Vollkommenheiten und wird wie in einem Spiegel die gesamte Vielfalt der Weltzivilisation reflektieren.«
(6) »Jeder Mensch sollte innehalten, nachdenken und gerecht urteilen: Sein Herr hat ihn aus unermesslicher Gnade zu einem menschlichen Wesen gemacht und mit den Worten geehrt: "Wahrlich, Wir schufen den Menschen in schönster Gestalt." Er hat Seine Barmherzigkeit aus der Dämmerung der Einheit aufsteigen und über dem Menschen strahlen lassen, bis dieser zum Brunnquell des Wortes Gottes, zum Offenbarungsort himmlischer Geheimnisse wurde. Am Morgen der Schöpfung wurde er mit den Eigenschaften der Vollkommenheit und mit heiliger Anmut übersät. Wie kann er dieses makellose Gewand mit dem Schmutz selbstischer Begierden besudeln, wie kann er diese ewige Ehre gegen Schande tauschen? "Wähnst du dich eine schwache Form, wo doch das Weltall in dir zusammengefaltet liegt"?«
(7) »Die höchste Stufe und die oberste Ebene, den vornehmsten und erhabensten Rang in der ganzen Schöpfung – ob sichtbar oder unsichtbar, ob Alpha oder Omega – nehmen die Propheten Gottes ein, obwohl sie größtenteils dem äußeren Anschein nach nichts als ihre Armut ihr eigen nannten. Desgleichen ist den Heiligen und denen, die der Schwelle Gottes am nächsten sind, unaussprechliche Herrlichkeit vorbehalten, obwohl sich ihresgleichen niemals, und sei es auch nur für einen Augenblick, um irdischen Gewinn kümmerten. Dann kommt die Stufe jener gerechten Könige, deren Ruf als Beschützer des Volkes und als Wahrer göttlicher Gerechtigkeit die Welt erfüllte und deren Namen als machtvolle Verfechter der Rechte des Volkes in der ganzen Schöpfung widerhallten. Solche Könige vergeuden keinen Gedanken darauf, riesige Reichtümer für sich anzusammeln; sie sehen vielmehr ihren eigenen Reichtum in der Förderung des Wohlstands ihrer Untertanen. Für sie sind die königlichen Schatzkammern gefüllt, wenn jeder einzelne Bürger in Wohlstand und Behagen lebt. Sie sind nicht stolz auf Gold und Silber, sondern auf ihre aufgeklärte Gesinnung und ihre Entschlossenheit, das Beste für die Allgemeinheit zu erreichen.«
(8) »Als Rangnächste folgen jene hervorragenden und ehrenhaften Minister und Vertreter des Staates, die den Willen Gottes über ihren eigenen stellen und deren fachliche Kompetenz und Weisheit bei der Verwaltung ihrer Ämter die Staatskunst zu neuen Gipfeln der Vollkommenheit führt. Sie strahlen in der Welt der Gebildeten wie Leuchten des Wissens; ihre Gedanken, ihr Verhalten und ihre Taten beweisen, wie sehr ihnen das Vaterland und sein Fortschritt am Herzen liegen. Mit bescheidenen Bezügen zufrieden, widmen sie ihre Tage und Nächte der Erfüllung ihrer wichtigen Aufgaben und dem Ersinnen von Methoden, um den Fortschritt des Volkes sicherzustellen. Durch den Einfluss ihres weisen Rates und durch ihr gesundes Urteil haben sie eh und je ihre Regierung zu einem nachahmenswerten Beispiel für alle anderen Regierungen der Welt werden lassen. Ihre Hauptstadt ward zum Brennpunkt großer weltweiter Unternehmungen; sie selbst gewannen an Würde, erlangten in hohem Maß persönliche Berühmtheit und erklommen die höchsten Höhen an Wertschätzung und an Charaktereigenschaften.«
(9) »Dann folgen jene berühmten, erfahrenen Gelehrten, die über edle Eigenschaften und umfassendes Wissen verfügen, sich fest an die Gottesfurcht halten und auf den Wegen des Heils bleiben. Im Spiegel ihres Geistes werden Formen transzendenter Wahrheiten reflektiert, und die Lampe ihrer inneren Schau empfängt ihr Licht von der Sonne universalen Wissens. Tag und Nacht stehen sie im Dienste gründlicher Forschungen auf solchen Wissensgebieten, die von Nutzen für die Menschheit sind, und widmen sich der Ausbildung befähigter Studenten. Würde man alle Schätze der Könige ihnen anbieten, so wären sie, da sie so hohe Ansprüche vertreten, nicht mit einem einzigen Tropfen aus den Wassern des Wissens zu vergleichen, und Berge von Gold und Silber könnten nicht die Freude an einer erfolgreichen Lösung eines schwierigen Problems aufwiegen. Alle Freuden, die abseits ihrer Arbeit liegen, sind in ihren Augen nur Kindertand, und die beschwerliche Last unnötiger Besitztümer ist nur für Unwissende und kleine Geister gut. Zufrieden gleich den Vögeln, sind sie für eine Handvoll Samen dankbar, und der Gesang ihres Wissens entzückt den Geist der Weltweisen.«
(10) »Schließlich trifft man unter dem Volk kluge Führer und im ganzen Lande einflussreiche Persönlichkeiten an, die als Pfeiler den Staatsbau tragen. Ihr Rang, ihre Position und ihr Erfolg hängen davon ab, ob sie dem Volk wohlgesinnt sind und ob sie sich bemühen, solche Mittel herauszufinden, die die Nation in ihrer Entwicklung fördern und den Reichtum und das Wohlergehen der Bürger steigern.«
(11) »Stellt euch vor, ein Mensch sei in seinem Land eine einflussreiche Persönlichkeit, er sei strebsam, weise, reinen Herzens, bekannt für seine angeborenen Fähigkeiten, seine Intelligenz und seinen natürlichen Scharfsinn; außerdem sei er ein wichtiges Mitglied der Staates: Worin kann ein solcher Mensch Ehre und bleibendes Glück, Rang und Ansehen in dieser und der kommenden Welt sehen? Etwa nicht darin, dass er gewissenhaft der Wahrheit und Rechtschaffenheit Beachtung schenkt, dass er entschlossen und hingebungsvoll nach dem Wohlgefallen Gottes trachtet, dass er danach strebt, die Gunst des Herrschers zu erlangen und die Anerkennung des Volkes zu verdienen? Oder vielleicht eher darin, dass er wegen der Freude an nächtlichen Festgelagen und Ausschweifungen seinem Land schadet und bei Tageslicht seinem Volk das Herz bricht, so dass er von Gott verstoßen, von seinem König vertrieben, von seinem Volk verunglimpft und mit der verdienten Verachtung gestraft wird?«
(12) »Zweifellos ist mit der Einführung von Parlamenten beabsichtigt, für Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit Sorge zu tragen; alles hängt jedoch von den Anstrengungen der gewählten Abgeordneten ab. Wenn ihre Absicht rein ist, wird es zu wünschenswerten Ergebnissen und zu unerwarteten Verbesserungen kommen; andernfalls ist alles sinnlos. Das Land wird zum Erliegen kommen, und die öffentliche Ordnung wird sich verschlechtern.«
(13) »Im Vorangegangenen wurde zumindest darzulegen versucht, dass Glück und Größe, Rang und Stufe, Freude und Frieden eines Menschen nie auf seinem persönlichen Reichtum beruhen, vielmehr auf seinem hervorragenden Charakter, seinem hehren Entschluss, seiner umfassenden Bildung und seiner Fähigkeit, schwierige Probleme zu lösen. Wie klar ist doch gesagt worden: "Was ich auf dem Körper trage, ist keinen Pfennig wert, wollte man es verkaufen; aber darunter schlägt ein Herz, das – gegen alle Herzen der Welt aufgewogen – größer und edler wäre".«
(14) »Die geistig Gebildeten sind Lampen der Führung unter den Nationen und Sterne des Glücks, die am Horizont der Menschheit strahlen. Sie sind Springbrunnen des Lebens für solche, die dem Tode von Unwissenheit und Unkenntnis verfallen sind, und reine Quellen der Vollkommenheit für jene, die dürstend durch die Wüsten ihrer Fehler und Irrtümer wandern. Dämmerorte der Zeichen göttlicher Einheit sind sie und Eingeweihte in die Geheimnisse des ruhmreichen Qur’án. Sie sind erfahrene Ärzte für den kranken Körper der Welt und das sichere Heilmittel gegen das Gift, das die menschliche Gesellschaft verdorben hat. Sie sind es, die als starke Feste die Menschheit beschützen, sie sind der unbezwingbare Zufluchtsort für die Bedrängten, Bekümmerten und Gequälten und für die Opfer der Unwissenheit. "Wissen ist ein Licht, das Gott ins Herz wirft, wem immer Er will".«
(15) »Für alles hat Gott ein Zeichen und Sinnbild geschaffen, hat Er Maßstäbe und Prüfsteine aufgestellt, durch die es erkannt werden kann. Die geistig Gebildeten müssen sich durch innere wie äußere Vollkommenheiten auszeichnen; sie müssen einen guten Charakter, ein aufgeklärtes Wesen, reine Absichten und ebenso Verstandeskraft, Scharfsinn und Urteilsvermögen, Verschwiegenheit und Weitsicht besitzen, ferner müssen sie besonnen, ehrfürchtig und aufrichtig gottesfürchtig sein. Denn eine Kerze, die nicht brennt, so dick und groß sie auch sein mag, ist nicht besser als eine trockene Palme oder ein Haufen abgestorbenes Holz.«
(16) »… In den Augen Gottes, Seiner Erwählten und aller Einsichtsvollen ist ein guter Charakter das Erhabenste und Lobenswerteste, was es gibt, jedoch immer unter der Voraussetzung, dass im Mittelpunkt seiner Entwicklung Vernunft und Erkenntnis stehen und dass er auf wahrer Mäßigung beruht.…«
(17) »Trotz ihrer vielgepriesenen Zivilisation sind alle Völker Europas versunken und ertrunken in diesem furchtbaren Meer der Leidenschaft und Begierde, und daher führen alle Erscheinungen ihrer Kultur zu nichts. Niemand sollte über diese Feststellung erstaunt sein oder sie beklagen. Der Hauptzweck und das grundlegende Ziel, warum machtvolle Gesetze verabschiedet, hohe Grundsätze aufgestellt und Einrichtungen geschaffen werden, die sich mit allen Bereichen der Zivilisation befassen, ist das Glück der Menschen. Dieses Glück der Menschen besteht ausschließlich darin, der Schwelle Gottes, des Allmächtigen, näher zu kommen und den Frieden und die Wohlfahrt jedes einzelnen Angehörigen des Menschengeschlechts, sei er hoch oder niedrig, zu sichern; und die besten Mittel, dieses zweifache Ziel zu erreichen, sind hervorragende, der Menschheit verliehene Tugenden …«
So sehr die kostbare Gabe von denen, für die sie bestimmt war, missachtet wurde, lässt sich ‘Abdu’l-Bahás Botschaft dennoch umfassend auf den Allgemeinzustand der modernen Zivilisation anwenden, die mit ihrem traditionellen Imperialismus, Nationalismus, Rassismus, Materialismus und mit ihrem Sektierertum die Menschheit an den Rand der schlimmsten Katastrophe gebracht hat, wie es in den prophetischen Textstellen der heiligen Schriften aller noch lebenden Religionen vorhergesagt wurde. 'Das Geheimnis göttlicher Kultur' ist für den Studenten der Sozialwissenschaften demnach eine Abhandlung, die die breite Lücke zwischen politisch-ökonomischer Technik und dem eigentlichen Sinn der Erschaffung des Menschen, der Errichtung von Gerechtigkeit in dieser Welt, schließt. Um zu begreifen, wie ‘Abdu’l-Bahá geistige Wahrheit in gesellschaftliche Programme umformt, muss sich der Leser nur dieser oft zitierten Stelle zuwenden:
(18) »Wahre Kultur wird ihr Banner mitten im Herzen der Welt entfalten, sobald eine gewisse Zahl ihrer vorzüglichen, hochgesinnten Herrscher – leuchtende Vorbilder der Ergebenheit und Entschiedenheit – mit festem Entschluss und klarem Blick daran geht, den Weltfrieden zu stiften. Sie müssen die Friedensfrage zum Gegenstand allgemeiner Beratung machen und mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, einen Weltvölkerbund zu schaffen. Sie müssen einen verbindlichen Vertrag und einen Bund schließen, dessen Verfügungen vernünftig, unverletzlich und bestimmt sind. Diesen Vertrag müssen sie der ganzen Welt bekannt geben und die Bestätigung des gesamten Menschengeschlechts für ihn erlangen. Ein derart erhabenes und edles Unternehmen – der wahre Quell des Friedens und Wohlergehens für die ganze Welt -– sollte allen, die auf Erden wohnen, heilig sein. Alle Kräfte der Menschheit müssen frei gemacht werden, um die Dauer und Beständigkeit dieses größten aller Bündnisse zu sichern. In diesem allumfassenden Vertrag sollten die Grenzen jedes einzelnen Landes deutlich festgelegt, die Grundsätze, die den Beziehungen der Regierungen untereinander zugrunde liegen, klar verzeichnet und alle internationalen Vereinbarungen und Verpflichtungen bekräftigt werden. In gleicher Weise sollte der Umfang der Rüstungen für jede Regierung genauestens umgrenzt werden, denn wenn die Zunahme der Kriegsvorbereitungen und Truppenstärken in irgendeinem Land gestattet wäre, so würde dadurch das Misstrauen anderer geweckt. Die Hauptgrundlage dieses feierlichen Vertrages sollte so verankert werden, dass bei einer späteren Verletzung irgendeiner Bestimmung durch irgendeine Regierung sich alle Regierungen der Erde erheben, um jene wieder zu voller Unterwerfung unter den Vertrag zu bringen, nein, die Menschheit als Ganzes sollte sich entschließen, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln jene Regierung zu vernichten. Wird dieses größte aller Heilmittel auf den kranken Körper der Welt angewandt, so wird er sich gewiss wieder von seinen Leiden erholen und dauernd bewahrt und heil bleiben.«
(19) »Wenn solche erfreulichen Zustände einträten, müsste keine Regierung mehr ständig Waffen speichern oder sich gezwungen sehen, immer neues Kriegsgerät herzustellen, um damit die Menschheit zu unterwerfen. Eine kleine Streitmacht für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit, die Verfolgung krimineller und die Ordnung gefährdender Elemente und die Verhütung örtlicher Unruhen würde genügen – nichts weiter. Vor allem wäre auf diese Weise die ganze Weltbevölkerung von der drückenden Last der Rüstungsausgaben befreit; außerdem brauchten zahllose Menschen nicht länger ihre Zeit darauf zu verschwenden, ständig neue Vernichtungswaffen zu ersinnen, diese Zeugen von Habsucht und Blutrünstigkeit, so unvereinbar mit dem Geschenk des Lebens. Stattdessen könnten sie ihren Eifer auf die Entwicklung von dem, was das menschliche Leben erleichtert, Frieden und Wohlstand fördert, richten und so zu weltweitem Fortschritt und Wohlstand beitragen. Jede Nation auf Erden würde dann zu seinen Ehren regieren, und jedes Volk fühlte sich in Ruhe und Zufriedenheit geborgen.«
(20) »Einzelne, welche die im menschlichen Streben ruhende Kraft nicht kennen, halten diesen Gedanken für völlig undurchführbar, ja für jenseits dessen, was selbst die äußersten Anstrengungen des Menschen je erreichen können; doch ist dies nicht der Fall. Im Gegenteil kann dank der unerschöpflichen Gnade Gottes, der Herzensgüte Seiner Begünstigten, den beispiellosen Bemühungen weiser und fähiger Seelen und den Gedanken der unvergleichlichen Führer dieses Zeitalters nichts, was es auch sei, als unerreichbar angesehen werden. Eifer, unermüdlicher Eifer ist nötig. Nur unbezähmbare Entschlusskraft kann das Werk vollbringen. Manches hat man in vergangenen Zeiten als reines Hirngespinst betrachtet; heute ist es leicht durchführbar geworden. Warum sollte diese wichtigste und erhabenste Sache – das Tagesgestirn am Himmelszelt wahrer Kultur und die Ursache des Ruhmes, des Fortschritts, des Wohlergehens und Erfolges der ganzen Menschheit – unmöglich sein? Der Tag wird sicher kommen, an dem ihr klares Licht Erleuchtung über die gesamte Menschheit gießen wird.«
(21) »Wenn die Kriegsvorbereitungen im heutigen Umfang fortgeführt werden, wird der Konfliktmechanismus bald einen Punkt erreichen, an dem Krieg für die Menschheit unerträglich sein wird.«
(22) »Wie aus den bisherigen Ausführungen klar hervorgeht, bestehen Ruhm und Größe des Menschen nicht darin, dass er nach Blut dürstet und wie ein Tiger scharfe Klauen besitzt, dass er Städte zerstört und Verwüstung anrichtet, ganze Armeen und Scharen friedlicher Bürger abschlachtet. Dagegen würde es eine glänzende Zukunft für ihn bedeuten, wenn er für seine Gerechtigkeitsliebe bekannt wäre, allem Volk, ob hoch oder niedrig, Güte erweisen würde, Länder und Städte, Dörfer und Provinzen aufbaute, das Leben erleichterte und für seine Mitmenschen glücklich und friedvoll gestaltete, wenn er die Grundsätze des Fortschritts festlegte, den Lebensstandard und Wohlstand der ganzen Bevölkerung erhöhte.«
(23) »Wenn die Offenbarer Gottes erscheinen, führt ihre Macht, wahre Einheit sowohl nach außen als auch in den Herzen zu schaffen, feindselige Völker, die einander nach dem Leben trachteten, unter dem Schutz des Wortes Gottes zusammen. Dann werden hunderttausend Seelen zu einer Seele, und aus zahllosen Einzelwesen entsteht ein Menscheitskörper.«
(24) »Überleget, ob es in der Schöpfung ein Prinzip gibt, das in irgendeiner Hinsicht machtvoller ist als die Religion, ob eine Kraft gedacht werden kann, die durchdringender ist als die vielfältigen göttlichen Offenbarungen, ob irgendeine Institution wahre Liebe, Freundschaft und Einheit zwischen allen Völkern hervorbringt, wie es der Glaube an einen allmächtigen und allwissenden Gott vermag, oder ob es außer den Gesetzen Gottes Beweise für eine Wirkkraft gibt, die für die Erziehung der ganzen Menschheit auf jeder Stufe rechtschaffener Lebensführung von Bedeutung ist!«
(25) »Diese Eigenschaften, die die Philosophen erlangten, wenn sie die wahren Höhen ihrer Weisheit erreicht hatten, diese edlen menschlichen Eigenschaften, wie sie jene Philosophen auf dem Gipfel ihrer Vollkommenheit auszeichneten, wurden von den Gläubigen verwirklicht, sobald sie den Glauben angenommen hatten. Seht, wie jene Seelen, die die lebenspendenden Wasser der Erlösung aus den huldvollen Händen Jesu, des Geistes Gottes, tranken und unter den schützenden Schatten des Evangeliums traten, eine solch hohe Stufe sittlicher Lebensführung erreichten, dass Galen, der berühmte Arzt, in seinem Abriss über Platos Republik ihre Taten pries, obwohl er selbst kein Christ war.«
(26) »Aufrichtigkeit ist der Grundstein des Glaubens. Das heißt, ein religiöser Mensch muss seine persönlichen Wünsche vergessen und danach streben, auf jede ihm mögliche Weise und von ganzem Herzen dem öffentlichen Wohl zu dienen. Andererseits ist es einem menschlichen Wesen nicht möglich, sich von seinem eigenen, selbstsüchtigen Nutzen abzuwenden und sein Wohl dem Wohl der Allgemeinheit zu opfern, es sei denn durch wahren religiösen Glauben. Denn Eigenliebe ist in den Lehm, aus dem der Mensch gemacht ist, hineingeknetet, und ohne Hoffnung auf eine angemessene Belohnung wird keiner seine eigenen bestehenden materiellen Interessen hintanstellen. Ein Mensch aber, der an Gott und Sein Wort glaubt, wird um Gottes willen seinen eigenen Vorteil und seine Behaglichkeit aufgeben und sich mit Herz und Seele aus freien Stücken dem Allgemeinwohl widmen, weil er die Verheißung und die Gewissheit hat, dass ihn im nächsten Leben reicher Lohn erwartet und weil ihm alle weltlichen Vergünstigungen im Vergleich zu der immerwährenden Freude und Herrlichkeit künftiger Seinsebenen nichts bedeuten. "Ein anderer aber ist unter den Menschen, der sein eigenes Selbst verkauft aus Verlangen nach dem Wohlgefallen Gottes".«
(27) »Manche glauben, ein angeborener Sinn für menschliche Würde bewahre den Menschen davor, Böses zu tun, und biete Gewähr für seine geistige wie materielle Vervollkommnung. Dies soll besagen, dass ein Mensch, den natürliche Intelligenz, hohe Entschlusskraft und edler Eifer auszeichnen, nicht wegen zu erwartender schwerer Bestrafung für ein Verbrechen oder reicher Belohnung für rechtschaffenes Verhalten, sondern instinktiv davor zurückschrecken wird, seinen Mitmenschen Leid zuzufügen, und danach hungern und dürsten wird, Gutes zu tun. Aber wenn wir über die Beispiele der Geschichte nachdenken, wird uns klar, dass dieser eigentliche Sinn für Ehrbarkeit und Würde nichts anderes als eine der Wohltaten ist, die von den Geboten der Propheten Gottes herrühren. Auch nehmen wir bei kleinen Kindern Anzeichen von Angriffslust und Ungehorsam wahr; wenn ein Kind keine Anweisungen durch einen Lehrer empfängt, vermehren sich seine unerwünschten Eigenschaften von einer Stunde zur andern. Es ist also klar, dass dieser natürliche Sinn für Menschenwürde und Anstand die Folge von Erziehung ist. Zweitens: Selbst wenn wir um der Beweisführung willen annehmen, dass angeborene Intelligenz und angeborene Sittlichkeit Übeltaten verhindern könnten, ist es offensichtlich, dass derart beschriebene Menschen so selten wie der Stein der Weisen sind. Eine Annahme dieser Art lässt sich nicht durch bloße Worte bekräftigen; sie muss durch Tatsachen untermauert sein. Prüfen wir deshalb, welche Wirkkraft in der Schöpfung die breiten Massen zu guten Vorsätzen und guten Taten antreibt!«
(28) »Übrigens wäre das Streben nach Rechtschaffenheit, das solch ein seltener Mensch mit diesen Anlagen an den Tag legt, sicherlich noch weit intensiver, wenn er darüber hinaus noch Gottesfurcht in sich verkörperte.«
(29) »Allumfassende Wohltaten strömen aus der Gnadenfülle der göttlichen Religionen, denn sie führen die wahren Gläubigen zu aufrichtigen Absichten, edlen Zielen, Reinheit und makelloser Ehrbarkeit, umfassender Herzensgüte, Mitgefühl, Vertragstreue, Rücksichtnahme auf die Rechte anderer, Großzügigkeit, Gerechtigkeit in allen Lebenslagen, Menschlichkeit und Menschenliebe, Tapferkeit und unermüdlichem Eifer im Dienst an der Menschheit. Mit einem Wort, es ist die Religion, die alle menschlichen Tugenden hervorbringt, und diese Tugenden sind das strahlende Licht der Kultur. Wenn ein Mensch diese hervorragenden Eigenschaften nicht aufweist, hat er sicherlich nie einen Tropfen aus dem unergründlichen Strom der Lebenswasser gekostet, die aus den Lehren der heiligen Bücher fluten, noch hat er den leisesten Hauch von den duftenden Brisen, die aus den Gärten Gottes wehen, verspürt; denn nichts auf Erden kann allein durch Worte bewiesen werden, und jede Daseinsebene ist an ihren Zeichen und Symbolen erkennbar, jede Stufe menschlicher Entwicklung hat ihr besonderes Merkmal.«
(30) »Die Winde der wahren Frühlingszeit wehen über euch dahin. Schmücket euch mit Blüten, so wie die Bäume im duftenden Garten! Die Frühlingswolken ergießen sich. Werdet frisch und grünend wie die süßen Gefilde der Ewigkeit! Der Morgenstern erstrahlt. Setzet euren Fuß auf den wahren Pfad! Das Meer der Allmacht wogt. Eilet zu den Ufern der Entschlossenheit und des Reichtums! Das reine Wasser des Lebens quillt hervor. Warum vergeudet ihr eure Tage dürstend in der Wüste? Steckt euch hohe und edle Ziele! Wie lange wollt ihr in eurer Trägheit, wie lange in eurer Achtlosigkeit noch verharren? Verzweiflung ist alles, was ihr in dieser und der nächsten Welt von eurer Selbstgefälligkeit davontragen könnt. Abscheulichkeit und Elend sind es, die euch der Fanatismus, der Glaube an die Dummen und Verblendeten einbringen. Die Bestätigungen Gottes unterstützen euch, die Hilfe Gottes ist nahe. Warum rufet und frohlocket ihr nicht aus ganzem Herzen, warum strebet ihr nicht mit ganzer Seele?«
(31) »Es ist deshalb dringend notwendig, dass nutzbringende Schriften und Bücher verfasst werden, die klar und bündig die heutigen Bedürfnisse des Volkes darlegen und aufzeigen, was dem Glück und dem Fortschritt der Gesellschaft dienlich ist. Diese Schriften und Bücher sollten veröffentlicht und unter dem Volk verbreitet werden, so dass wenigstens die führenden Köpfe unter dem Volk bis zu einem gewissen Grad aufwachen und anfangen, sich auf Wegen vorwärts zu bemühen, die zu ihrer ewigen Ehre führen. Die Verbreitung edler Gedanken ist die dynamische Kraft in den Schlagadern des Lebens, ja die Seele der Menschenwelt. Die Gedanken sind unendlich wie das Meer, während die Auswirkungen und die wechselnden Umstände des Daseins den Wellen in ihrer unterschiedlichen Gestalt und räumlichen Begrenzung gleichen; erst wenn das Meer wogt, steigen die Wellen an und tragen die Perlen der Erkenntnis ans Ufer des Lebens.«
(32) »Die öffentliche Meinung muss auf das gerichtet werden, was dieses Tages würdig ist. Dies ist jedoch nur möglich, wenn angemessene Argumente angewandt und klar verständliche, schlüssige Beweise erbracht werden. Zweifellos suchen die Massen nach ihrem Glück und sehnen sich danach, aber ihre Unwissenheit trennt sie davon wie ein dichter Schleier.«
(33) »Glücklich der Mensch, der sein eigenes Wohl außer Acht lässt und gleich den Auserwählten Gottes mit seinen Mitmenschen im Dienste zum Wohle aller wetteifert, bis er, gestärkt durch den Segen und die immerwährenden Bestätigungen Gottes, befähigt sein wird, diese mächtige Nation erneut zu den einstigen Gipfeln ihres Ruhmes zu führen, dieses verdorrte Land mit köstlichem neuem Leben zu erfrischen und wie ein geistiger Frühling die Bäume, die das Leben der Menschen widerspiegeln, mit frischen Blättern, Blüten und Früchten heiliger Freude zu schmücken.«
Aus: ‘Abdu’l-Bahá, 'Das Geheimnis göttlicher Kultur' (Absatz: 1-2, 5-7, 9, 36, 38–44, 59–61, 108–109, 120–124, 136, 150–151, 170–173, 186, 194, 196, 208)
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