Eine Analyse der heutigen Situation der Menschheit...

Die Bahá'í-Welt heute ... (Teil 2)

Die gegenwärtige Periode ist eine Zeit, in der sich die Menschheit in einer ideologischen Krise befindet.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hatte die Religion zumindest in Europa aufgehört, eine zentrale Rolle bei der Bestimmung der Vision und der Werte der Gesellschaft zu spielen.

Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts hat die Menschheit mit einer Reihe von Ideologien experimentiert, um das von der Religion hinterlassene Vakuum im Zentrum der Gesellschaft zu füllen. Nationalismus, Rassismus und Kommunismus wurden durchexerziert und sind alle spektakulär gescheitert, so dass Zerstörungen in großem Ausmaß entstanden sind.

Der scharfe Nationalismus und die hiermit verbundene massive Aufrüstung der europäischen Staaten führte zum Ersten Weltkrieg und damit zum Verfall der staatlichen Ordnung großer Teile Europas.

Kommunistischer Extremismus brachte die Gulags hervor, rassistische Ideologien führten zu den Konzentrationslagern der Nazis und zu den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs.

Obwohl Europa als erstes betroffen war, haben andere Teile der Welt ähnliche Erfahrungen gemacht.

In jüngster Zeit haben wir gesehen, wie der Kommunismus ins Stocken geriet und scheiterte und ein Erbe von zerstörten Volkswirtschaften und Umweltzerstörungen hinterließ.

Es gibt zwei große Konkurrenten, die darum wetteifern, das ideologische Vakuum zu füllen, welches jetzt existiert:

Einer davon ist der Kapitalismus des freien Marktes, der gegenwärtig hauptsächlich eine Kombination aus Laisser-faire-Ökonomie und einem starken Individualismus und Konsumismus ist.

Das Universale Haus der Gerechtigkeit hat die Tendenz dieser Ideologie in ihrer Botschaft 'Die Verheissung des Weltfriedens' vom Oktober 1985 kommentiert:

»Anstatt die Einheit der Menschheit als Grundkonzept zu erfassen und die Eintracht unter den Völkern zu mehren, neigen leider allzu viele dieser Ideologien dazu, den Staat zu vergöttern, die übrige Menschheit jeweils einer Nation, Rasse oder Klasse unterzuordnen, Diskussion und Gedankenaustausch zu unterdrücken oder Millionen Hungernder gleichgültig Marktmechanismen preiszugeben, die die wirtschaftliche Misere des größeren Teils der Menschheit ganz offensichtlich verschlimmern, während sie kleinen Teilen der Bevölkerung ein Leben in einem von unseren Vorfahren kaum erträumten Überfluss ermöglichen.«

»Die Zeit ist gekommen, dass die Dogmenprediger des Materialismus - im Osten wie im Westen, im Kapitalismus wie im Sozialismus - Rechenschaft ablegen müssen über die moralische Führung, die auszuüben sie sich anmaßen.«

»Wo ist die von diesen Ideologien verheißene "neue Welt"?«

»Wo ist der internationale Friede, für dessen Ideale sie ihre Ergebenheit bekunden?«

»Wo sind die durch die Verherrlichung dieser Rasse, jener Nation oder einer bestimmten Klasse erzielten Durchbrüche in neue Bereiche der Kulturleistung?«

»Warum versinkt in unserer Welt der Großteil der Völker immer tiefer in Hunger und Elend, wenn den heutigen Sachwaltern der Gesellschaft Reichtum in einem Maße zur Verfügung steht, von dem die Pharaonen, die Caesaren oder selbst die imperialistischen Mächte des 19. Jahrhunderts nicht hätten träumen können?«

Der andere große Konkurrent für das ideologische Vakuum im Zentrum der Weltgesellschaft ist der religiöse Fundamentalismus.

Die Grundprämisse dieser Bewegung ist wie folgt:

Wenn die ideologischen Experimente des zwanzigsten Jahrhunderts gescheitert sind, dann kehren wir zu der früheren Situation zurück, in der traditionelle Religion die Ideologie der Gesellschaft war. In fast jeder größeren Religion gibt es eine fundamentalistische Bewegung, die eine Rückkehr zu einer als golden empfundenen Vergangenheit von Moral und sozialer Verantwortung anstrebt.

Leider war für die Fundamentalisten ein grundlegendes Element dieser vergangenen Situation, dass der religiöse Standpunkt nicht nur der dominierende Gesichtspunkt der Gesellschaft, sondern auch der einzige Gesichtspunkt war. Er kontrollierte alles, weil es keinen anderen verfügbaren Standpunkt gab.

Kunst, Literatur, Wissenschaft, Medizin, Wohltätigkeit, alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens wurden von der Religion dominiert und kontrolliert, zu der es keine Konkurrenz gab.

Aus der Zeit der Renaissance und insbesondere mit dem Kommen der Aufklärung entstanden alternative Sichtweisen, die mit der Religion erfolgreich konkurrierten.

Im Laufe der Zeit wurde es möglich, die Welt mit anderen Augen zu sehen, zum Beispiel vom Standpunkt des wissenschaftlichen Rationalismus aus.

Wissenschaft, Kunst, Literatur, Medizin und sogar karitative Werke entgingen der Kontrolle der Religion, weil sich alternative Rahmenbedingungen als besser erwiesen.

Sind diese alternativen Standpunkte erst einmal entstanden, ist es für die religiösen Fundamentalisten fast unmöglich, die Gesellschaft in die vorherige Situation zurückzuversetzen, in der überhaupt keine Alternative denkbar war.

Selbst wenn es den Fundamentalisten gelingt, an die Macht zu kommen, egal welche drakonischen Schritte sie unternehmen, um zu versuchen, die Situation so zu gestalten, wie sie es wollen, können sie den Strom der Geschichte nicht umkehren.

Sobald sich die Menschheit bewusst ist, dass es alternative Standpunkte gibt, ist es nicht möglich, zu einer Situation zurückzukehren, in der solche Möglichkeiten nicht konzipiert wurden, egal wie durchdringend und überheblich die Fundamentalisten werden.

Wie laut sie auch schreien, sie können die Stimme, die darauf besteht, dass es eine alternative Vision gibt, nicht übertönen, weil die Stimme aus der inneren Überzeugung der Menschen kommt.

Man kann also vorhersagen, dass diese beiden Alternativen, Kapitalismus und religiöser Fundamentalismus, die derzeit die einzigen tragfähigen Ideologien auf der Weltbühne zu sein scheinen, wahrscheinlich scheitern werden, ebenso wie die anderen Ideologien des 20. Jahrhunderts - Nationalismus, Rassismus und Kommunismus – scheiterten.

Jede dieser Ideologien hat weiterhin ihre Befürworter und Unterstützer, aber es ist derzeit nicht möglich zu sehen, was sie der Menschheit außer Desintegration und Zerfall bieten könnten.

Wie Shoghi Effendi im Buch 'Die Weltordnung Bahá'u'lláhs' bemerkte:

»Wenn lang gehegte Ideale, wenn altehrwürdige Institutionen, wenn gesellschaftliche Postulate und religiöse Glaubensbekenntnisse das Wohl der Gesamtheit aller Menschen nicht mehr fördern, wenn sie den Bedürfnissen einer sich ständig entwickelnden Menschheit nicht länger gerecht werden, dann fegt sie hinweg und verbannt sie in die Rumpelkammer veralteter und vergessener Doktrinen! Warum sollten sie in einer Welt, die dem unabänderlichen Gesetz des Wandels und des Verfalls unterliegt, von der Entartung verschont bleiben, die alle menschlichen Einrichtungen zwangsläufig ereilt? Rechtsnormen, politische und wirtschaftliche Theorien sind nur dazu da, die Interessen der Menschheit als Ganzes zu schützen; nicht aber ist die Menschheit dazu da, für die unversehrte Aufrechterhaltung eines bestimmten Gesetzes oder Lehrsatzes gekreuzigt zu werden.«

Teil 1: Die ständige Ausdehnung der Bahá'í-Gemeinschaft

Teil 3: Die Bahá'í-Gemeinschaft als Modell

 

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