Die Krise als Evolutionsbeschleuniger

Können Krisen die Menschheit fördern?

Die derzeitigen Probleme - seien es Corona, das Klima, die Flüchtlinge oder der Terror - sind zweifelsohne zahlreich. Leben wir wirklich in einem Übergangszeitalter?

»Aggression und Konflikt sind tatsächlich in solchem Ausmaß zu Kennzeichen unserer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und religiösen Systeme geworden, dass viele der Ansicht verfielen, derartiges Verhalten sei ein Wesensmerkmal des Menschen und deshalb unausrottbar.«

(Botschaft des Universalen Hauses der Gerechtigkeit vom Oktober 1985)

Wird die Welt in den turbulenten Prozessen, welche wir derzeit erleben, robuster, vielfältiger und offener, geeinter überleben?

Die Krisen, von denen die Menschheit zunehmend heimgesucht wird, werden zu einem stürmischen, schmerzlichen Prozess der Transformation und schließlich zu einem Durchbruch, zu einer komplexeren, höheren Organisationsform führen und damit - der Menschheit zunächst noch unbewusst - Grundsätze wahr machen, welche Bahá'u'lláh verkündete. Es ist die Vision des Reiches Gottes auf Erden, die geistige Verwandlung der Welt durch die Botschaft Bahá'u'lláhs, welche dem politisch geeinten Organismus erst Leben einhaucht.

»Mit der Verfestigung dieser Ansicht ergab sich ein lähmender Widerspruch: Einerseits verkünden Menschen aller Völker nicht nur ihre Bereitschaft, sondern ihre Sehnsucht nach Frieden und Eintracht, nach einem Ende der quälenden Furcht, die ihr tägliches Leben peinigt. Andererseits findet die These unkritische Zustimmung, der Mensch sei unverbesserlich selbstsüchtig, aggressiv und deshalb unfähig, eine Gesellschaftsordnung zu errichten, die zugleich fortschrittlich und friedlich, dynamisch und harmonisch ist, eine Ordnung, die der individuellen Kreativität und Initiative freien Lauf lässt, aber auf Zusammenarbeit und Gegenseitigkeit beruht.«

(Botschaft des Universalen Hauses der Gerechtigkeit vom Oktober 1985)

Die Krise als Evolutionsbeschleuniger

Die Feststellung, dass wir in einer Zeit der Krise leben, ist mehr als ein Klischee. Es besteht eine bemerkenswerte Übereinstimmung darüber, dass die Welt krank ist, dass "etwas schiefgelaufen ist". Die Zukunft des Menschen wird bedroht durch seine eigenen zerstörerischen Triebe, die viel stärker sind als er vermutet und zu deren Kontrolle er vielleicht unfähig scheint.

Warum ist das so? Wie kommen wir da wieder raus? Bei Shoghi Effendi, im Büchlein 'Krise und Sieg', finden wir folgende Aussage, welche uns helfen kann das besser zu verstehen:

»Heimsuchungen und Leiden sind, wie Bahá'u'lláh uns in Seinen Sendbriefen wiederholt mahnt, gleichsam das Öl, das die Lampe speist. Die Sache kann ihre wahre Größe nicht enthüllen, solange sie nicht auf eben diese Hindernisse stößt, die ihr dann und wann begegnen und zeitweise ihre Grundfesten zu bedrohen scheinen, und sie erfolgreich bewältigt. Solche Hindernisse, Prüfungen und Heimsuchungen sind in Wirklichkeit verhüllter Segen ...«

Zur Zeit der Corona-Krise zitierte das Universalen Hauses der Gerechtigkeit in Seiner Naw-Rúz-Botschaft 177 folgenden Ratschlag ‘Abdu’l-Bahás:

»An einem Tag wie diesem, an dem die Stürme der Prüfungen und Drangsale die Welt umspannen und Furcht und Zittern den Planeten aufgewühlt haben, müsst ihr euch mit erleuchtetem Angesicht und strahlender Stirn solcherart über den Horizont der Festigkeit und Standhaftigkeit erheben, dass, so Gott will, das Dunkel der Angst und Bestürzung völlig gebannt werden und das Licht der Zuversicht über dem sichtbaren Horizont aufgehen und in vollem Glanz erstrahlen möge.«

Shoghi Effendi verkündet unzweideutig, dass den Anhängern Bahá'u'lláhs diese Veränderungen wohl mehr verständlich ist durch die Kenntnis der Bahá'í-Schriften:

»"Die mächtigen Auswirkungen dieser titanischen Umwälzung sind nur allein denen verständlich, die die Ansprüche sowohl Bahá'u'lláhs als auch des Báb anerkannt haben. Ihre Anhänger wissen wohl, was sie ausgelöst hat und wohin sie schließlich führen wird." Die Gewissheit dieser Worte leitet sich her aus dem Glauben an Bahá'u'lláh als den göttlichen Boten, der eine neue Ära in der menschlichen Geschichte eröffnete.«

»Man braucht nur die sich ausweitende moralische Krise zu betrachten, von der die Menschheit verschlungen wird, um den Grad zu ermessen, bis zu dem die Kräfte der Zersetzung das gesellschaftliche Gefüge zerrissen haben.«

Die Sehnsucht nach innerer Ruhe und Zufriedenheit wächst von Tag zu Tag. Welche Rolle kann Religion - für den Einzelnen wie für die Gesellschaft - hier übernehmen?

Ist es wirklich Bahá'u'lláhs Lehre, welche uns helfen kann die Situation besser zu verstehen? Schauen wir auf den visionären Ausblick des Universalen Hauses der Gerechtigkeit:

»Die Bahá'í-Religion betrachtet die gegenwärtige Verwirrung in der Welt und den verhängnisvollen Zustand der menschlichen Belange als natürliche Phase in einem unaufhaltsamen organischen Prozess, hin zur Einigung der Menschheit in einer einzigen Gesellschaftsordnung, deren Grenzen die des Planeten sind. Wie der Mensch als Einzelwesen, hat die Menschheit als Gattung die Entwicklungsstufen des Säuglings und des Kindes durchlaufen, ist nun auf dem Höhepunkt ihrer ungestümen Jugend und nähert sich ihrer lang erwarteten Mündigkeit.«

»Eingedenk der zahllosen Äußerungen göttlicher Liebe, die sich in unseren Schriften finden, und im Bewusstsein der außerordentlichen Natur der Krise, der sich die Menschheit gegenüber gestellt sieht, rufen wir die Freunde auf, sich der Größe dessen, was an diesem Tage von uns erwartet wird, ganz neu bewusst zu werden. Wir rufen in die Erinnerung zurück, dass die Gesegnete Schönheit Bahá'u'lláh, wie auch Sein "über alles Geliebter" vor Ihm und ‘Abdu’l-Bahá nach Ihm, Ihre Leiden in dieser Welt auf sich nahmen, damit die Menschheit von materiellen Fesseln befreit werde und "wahre Freiheit erlange", "blühen und gedeihen möge", "dauernde Freude erfahre und von Glückseligkeit erfüllt werde", und wir beten darum, dass die Anstrengungen der Freunde das Mittel sein mögen, durch das diese Herrlichkeit und dieses Glück sich schnell erfüllen.«

Leben wir wirklich in einem Übergangszeitalter?

»Wessen wir gegenwärtig Zeuge sind, während "dieser schwersten Krise in der Geschichte der Zivilisation", die uns an Zeiten mahnt, da "Religionen untergehen und geboren werden", das ist das Jünglingsalter in der langsamen und schmerzensreichen Entwicklung der Menschheit, die Vorbereitung zur Erreichung des Zustandes des Mannesalters und der Reife, dessen Verheißung in den Lehren Bahá'u'lláhs enthalten und in Seinen Weissagungen eingeschlossen ist. Der Aufruhr dieses Übergangszeitalters ist charakteristisch für das Ungestüm und die unvernünftigen Naturtriebe der Jugend, für ihre Tollheiten, ihre Verschwendung, ihren Stolz, ihre Selbstsicherheit, ihr aufrührerisches Wesen und ihre Missachtung von Disziplin.«

Die Veränderung sozialer Verhaltensformen durch göttliche Führung

Lassen wir uns von Auszügen der Botschaften des Universalen Hauses der Gerechtigkeit inspirieren:

»Fortschritt wird durch die Dialektik von Krise und Sieg erlangt, und Rückschläge sind unausweichlich. Eine Abnahme der Beteiligung, eine Unterbrechung in den Aktivitätszyklen, ein vorübergehender Bruch der Einheit – diese Dinge gehören zu den unzähligen Herausforderungen, die man möglicherweise meistern muss. Nicht selten wird der Anstieg menschlicher Ressourcen oder die Fähigkeit, sie zum Einsatz zu bringen, hinter dem Bedarf rascher Ausbreitung zurückbleiben.«

»Da die vorherrschenden Denkweisen offensichtlich unzureichend sind, braucht die Welt dringend eine gemeinsame Ethik, ein festes Rahmenwerk, um den Krisen begegnen zu können, die sich wie Gewitterwolken auftürmen. Die Vision Bahá’u’lláhs stellt viele der Annahmen infrage, die man den derzeitigen Diskurs bestimmen lässt – beispielsweise, dass Eigennutz nicht etwa gezügelt werden sollte, sondern vielmehr den Wohlstand fördert, und dass Fortschritt davon abhängig ist, dass sich dieser Eigennutz in erbarmungsloser Konkurrenz äußert. Den Wert eines Menschen hauptsächlich danach zu bemessen, wie viel Vermögen er im Vergleich zu anderen anhäufen und wie viele Waren er konsumieren kann, ist dem Bahá’í-Denken vollkommen fremd. Aber die pauschale Ablehnung von Reichtum als in sich widerwärtig und unmoralisch findet in den Lehren ebenso keine Zustimmung, und Askese ist untersagt. Reichtum muss der Menschheit dienen. Seine Verwendung muss geistigen Prinzipien entsprechen; es müssen Systeme geschaffen werden, die solchen Prinzipien folgen. In den erinnerungswürdigen Worten Bahá’u’lláhs: „Kein Licht gleicht dem Licht der Gerechtigkeit! Sie bewirkt Ordnung in der Welt und sichert die Ruhe der Völker.“«

»Jeder Anhänger Bahá’u’lláhs weiß wohl, dass es der Zweck Seiner Offenbarung ist, eine neue Schöpfung hervorzubringen. „Kaum war … der Erste Ruf Seinen Lippen entströmt, da war die ganze Schöpfung umgewälzt; alle in den Himmeln und alle auf Erden wurden bis tief ins Herz aufgewühlt.“«

Wir können uns bemühen, Kraft aus den göttlichen Worten zu schöpfen; schauen wir dazu in Bahá'u'lláhs Buch 'Gebete und Meditationen':

»Bin ich bewaffnet mit der Macht Deines Namens, so kann nichts mich verwunden, und mit Deiner Liebe im Herzen können alle Trübsale dieser Welt mich nicht schrecken.«

Hilft es bewusst zu werden, dass wir uns nach Kräften bemühen können, Liebe statt Angst zu wählen und auf Dienst und Empathie statt auf Egoismus und Panik zu setzen.

Sicherlich wird heute klar, dass, wenn ein Teil des Körpers der Menschheit betroffen ist, der ganze Körper leidet. Ebenso bin ich auch empfänglich, wenn ein Mensch in einer Stadt auf der anderen Seite der Welt leidet. In diesem Licht betrachtet, ist die Vision Bahá'u'lláhs im Buch 'Ährenlese' folgende:

»Die Erde ist nur ein Land, und alle Menschen sind seine Bürger.«

 

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